Selbstanzeige - koordinierte
§ 371 AO
Mit einer Selbstanzeige im Sinne des § 371 AO wird in den Fällen der Steuerhinterziehung des § 370 AO nur derjenige straffrei, der die unrichtigen Angaben bei der Finanzbehörde berichtigt oder ergänzt oder die unterlassenen Angaben nachholt. Es handelt sich hierbei um einen persönlichen Strafaufhebungsgrund.
Die strafbefreiende Wirkung der Selbstanzeige kommt somit lediglich dem Personenkreis zugute, der alle gesetzlichen Voraussetzungen des § 371 AO auch in seiner Person erfüllt (BGH, 24.10.1984 - 3 StR 315/84; StV 1985, 107). Liegen bei einer Steuerhinterziehungstat mehrere Tatbeteiligte und/oder Teilnehmer vor, so sind die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des § 371 AO zum einen für jede Person gesondert möglich und zum anderen auch gesondert zu prüfen. Es kann also durchaus vorkommen, dass die eine Person Straffreiheit für eine Tat erlangt, die andere jedoch (noch) nicht. Zur eventuellen Sperrwirkung einer Selbstanzeige des einen Tatbeteiligten für den anderen, s. Selbstanzeige - Sperrwirkung.
Die Selbstanzeige des einen Tatbeteiligten kann somit grundsätzlich nicht als Selbstanzeige des/der anderen Tatbeteiligten ausgelegt werden. In der Praxis empfiehlt es sich daher, die beabsichtigten Selbstanzeigen mehrerer Täter und/oder Teilnehmer zu koordinieren. Dies führt zu den sogenannten koordinierten Selbstanzeigen.
Entweder übernimmt der selbstanzeigewillige Tatbeteiligte selbst die Koordination mit den anderen Tatbeteiligten oder aber er überträgt sie seinem steuerlichen Berater/Verteidiger, welcher dann die zeitliche und inhaltliche Abstimmung übernimmt.
Hinweis:
Da die Selbstanzeige nicht zum Steuerstrafverfahren gehört, sondern das Strafverfahren vielmehr auf der Grundlage der Selbstanzeige erst eingeleitet wird und damit beginnt, findet § 146 StGB mit seinen Regelungen über einen gemeinschaftlichen Verteidiger keine Anwendung. Eine "Mehrfachverteidigung" durch einen steuerlichen Berater für sämtliche Tatbeteiligte, wie sie in der Praxis häufig anzutreffen ist, ist daher nicht ausgeschlossen. Es kann für sämtliche Tatbeteiligte durch einen Bevollmächtigten Selbstanzeige erstattet werden, wenn von jedem eine gesonderte Vollmacht hierfür im Vorhinein vorliegt. Etwaige Interessenkollisionen bei einer solchen Konstellation sind notwendigerweise im Vorfeld abzuklären und eventuell auszuräumen.
Koordinierte Selbstanzeigen sind bzw. waren in der Praxis häufig in den sogenannten "Bankenverfahren" anzutreffen. In diesen Fällen erstattete der Bankmitarbeiter wegen seiner Beihilfehandlung Selbstanzeige gemeinsam mit den von ihm betreuten Geldanlegern als Haupttäter (auch sogenanntes "Monheimer Modell").
Hierbei kommt es entscheidend darauf an, ob bei der entsprechenden Bank oder dem Kreditinstitut bereits Steuerfahndungsbeamte zur Durchsuchung der Räumlichkeiten mit einem entsprechenden Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss nach § 102 StPO für ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen die Bankmitarbeiter sowie die potentiellen Geldanleger erschienen sind. Sollte dies bereits der Fall gewesen sein, so ist zumindest bezüglich der Bankmitarbeiter für die Selbstanzeige eine Sperrwirkung nach § 371 Abs. 2 Nr. 1a AO eingetreten. Für die potentiellen Kunden kommt es nunmehr darauf an, ob diese den Steuerermittlern bereits bekannt sind oder ob diese erst noch ermittelt bzw. "enttarnt" werden müssen. Sind sie bereits bekannt, tritt auch hier eine Sperrwirkung nach § 371 Abs. 2 Nr. 1a AO ein. Ansonsten gilt es, den zeitlichen Aspekt der Sperrwirkung nach § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO zu beachten, also die Frage, ob im Zeitpunkt der Berichtigung, Ergänzung, Nachholung die Tat ganz oder zum Teil bereits entdeckt war oder bei verständiger Würdigung der Sachlage damit zu rechnen ist.
Hinweis:
Die Folgen einer verunglückten, weil erst nach Eintritt der Sperrwirkung abgegebenen, koordinierten Selbstanzeige sind für den einzelnen an sich Selbstanzeigewilligen nicht vorhersehbar. Den Finanzbehörden ist es nunmehr ohne größeren Ermittlungsaufwand auf der Grundlage des Inhalts der Selbstanzeige für jeden Tatbeteiligten möglich, den Sachverhalt aufzuklären und entsprechende Steuerbescheide zu erlassen. Als weitere Folge ergeben sich eine Verlängerung der Festsetzungsfrist gemäß § 169 Abs. 2 S. 2 AO auf zehn Jahre sowie die Prüfung über die Festsetzung von Hinterziehungszinsen nach § 235 AO.
Ist ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren zum Zeitpunkt der koordinierten Selbstanzeige jedoch noch in weiter Ferne oder zumindest noch nicht unmittelbar bevorstehend, so soll mit der kollektiven Selbstanzeige umfangreichen Durchsuchungen und Beschlagnahmen durch die Steuerfahndung mit den üblicherweise einhergehenden negativen Folgeerscheinungen vorgebeugt werden.
Solche Selbstanzeigen für eine große Anzahl von potentiellen Tatbeteiligten können für den Einzelnen die Gefahr bergen, dass sein persönlicher Einzelfall nur unzureichend straf- und bußgeldrechtlich gewürdigt wird, indem er mit den vermeintlichen "Haupttätern" der Steuerhinterziehung pauschal als Steuerhinterzieher im Sinne des § 370 AO behandelt wird. Zwar mag für ihn objektiv eine Steuerverkürzung vorgelegen haben, welche aber subjektiv ohne den nötigen Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit ausgeführt worden ist, sondern vielmehr leichtfahrlässig erfolgte. Insofern sollte jeder Selbstanzeigewillige seine Teilnahme an einer koordinierten Selbstanzeige für sich genau prüfen und erst dann seine Vollmacht zur Erstattung einer Selbstanzeige in seinem Namen und seinem Auftrag erteilen.
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