Reverse-Charge-Verfahren
§ 13b UStG
Inhaltsübersicht
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1. Allgemeines
Das Reverse-Charge-Verfahren bezeichnet die Verlagerung der Umsatzsteuerschuld vom leistenden Unternehmer auf den unternehmerischen Leistungsempfänger. In dessen Person fallen somit Steuerschuld und Vorsteuerabzug zusammen und saldieren sich direkt. Ziel dieses Modells ist in erster Linie eine Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs.
2. Bestrebungen in Deutschland
Zur Vermeidung von Umsatzsteuerbetrug, aber auch von insolvenzbedingten Umsatzsteuerausfällen beabsichtigte das Bundesfinanzministerium für Deutschland eine Änderung des heute gültigen Umsatzsteuersystems. Durch eine Einführung des sogenannten Reverse-Charge-Verfahrens sollte bei Leistungen im zwischenunternehmerischen Bereich (oberhalb einer Bagatellgrenze von 5.000 EUR) die Umsatzsteuerschuld grundsätzlich vom leistenden Unternehmer auf den Leistungsempfänger verlagert werden. Steuerschuld und Vorsteuerabzugsberechtigung wären dann in der Person des Leistungsempfängers zusammen gefallen und hätten sich saldieren. Deshalb wären zwischen zum Vorsteuerabzug berechtigten Unternehmern keine Geldflüsse im Hinblick auf die Umsatzsteuer mehr aufgetreten.
Beispiel:
Der Unternehmer A in Münster betreibt einen Handel mit Lastkraftwagen. Er verkauft an den Bauunternehmer B in Osnabrück einen neuen LKW für 100.000 EUR + 19.000 EUR = 119.000 EUR. Dieser LKW wird ausschließlich für die Ausführung von steuerpflichtigen Umsätzen verwendet.
a) Lösung im Falle des Reverse-Charge-Verfahrens:
Die Steuerschuld für den Umsatz wird auf den Käufer B verlagert. Dieser hat in seiner Umsatzsteuererklärung den Umsatz mit 100.000 EUR zu erklären. Es entsteht eine Umsatzsteuerschuld in Höhe von 19.000 EUR. Gleichzeitig hat B einen Vorsteueranspruch von 19.000 EUR, sodass die Steuerschuld aus diesem Geschäft bei B genau 0 EUR beträgt. B muss lediglich 100.000 EUR an A zahlen.
b) Lösung nach derzeitigem Verfahren:
A hat den Umsatz von 100.000 EUR zu versteuern und muss aus diesem Geschäft 19.000 EUR an sein Finanzamt in Münster abführen. B hat einen Vorsteueranspruch aus dem Kauf in Höhe von 19.000 EUR und kann diesen bei seinem Finanzamt in Osnabrück geltend machen. B muss 119.000 EUR an A zahlen.
Für alle anderen Leistungsempfänger (insbesondere für private Endverbraucher) und auch für Leistungen unterhalb der Bagatellgrenze wäre die heute geltende Regelung der Steuerschuldnerschaft des leistenden Unternehmers bestehen geblieben.
3. Umsetzungsmöglichkeiten
Da das europäische Mehrwertsteuersystem weitgehend harmonisiert ist, kann Deutschland aber über eine solche Systemmodifikation nicht allein entscheiden. Es benötigt das Einvernehmen von allen EU-Mitgliedstaaten. Das Initiativrecht für eine Änderung kommt hierbei der Europäischen Kommission zu.
Für einzelne Bereiche ist europarechtlich schon heute ein Übergang der Steuerschuldnerschaft in Form nationaler Sonderregelungen möglich. Hiervon macht Deutschland durch die in § 13b UStG geregelten Fälle Gebrauch, vgl. Steuerschuldner - Leistungsempfänger.
4. Meinung der Europäischen Kommission
Die Europäische Kommission hat sich in ihrer Mitteilung KOM(2008) 109 zur allgemeinen Einführung des Reverse-Charge-Verfahrens für alle Mitgliedstaaten geäußert. Sie hat folgende Grundsätze dargelegt:
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Ein allgemeines System zur Verlagerung der Steuerschuldnerschaft wäre ein neues Konzept, das sowohl positive als auch negative Folgen haben könnte.
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Die Verlagerung der Steuerschuldnerschaft würde die Festlegung eines zweiten Systems auf EU-Ebene erforderlich machen und sich damit negativ auf das Funktionieren des Binnenmarktes auswirken.
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Es würde sowohl die Harmonisierung als auch die Möglichkeiten für eine weitere Verbesserung des MwSt-Systems beeinträchtigen.
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Die allgemeine Verlagerung der Steuerschuldnerschaft würde die Kosten für die Unternehmen erhöhen und wesentlich zur Entstehung neuer Betrugsarten innerhalb der EU beitragen.
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Ein allgemeines System zur Verlagerung der Steuerschuldnerschaft sollte nach Ansicht der Kommission entweder EU-weit zwingend sein oder das Konzept sollte komplett aufgegeben werden.
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Es wird die Durchführung eines Pilotprojektes in einem EU-Staat vorgeschlagen.
Die Verlagerung der Steuerschuldnerschaft ist ein Konzept, das zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht ausgeschlossen werden kann und auch nicht ausgeschlossen werden sollte, weil es unbestreitbare Vorteile bietet. Da es sich aber um ein System handelt, das sich grundlegend vom jetzigen System unterscheidet, könnte es niemals optional nur in einzelnen EU-Staaten eingeführt werden, ohne das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes insgesamt zu beeinträchtigen.
5. Entscheidung des Europäischen Rates
Bis heute hat der Rat der Europäischen Kommission noch nicht Stellung dazu genommen, ob ein Pilotprojekt über die Verlagerung der Steuerschuldnerschaft in einem Mitgliedstaat, der sich freiwillig bereit erklärt (vorgesehen ist Österreich), wünschenswert sei. Erst nach einer Entscheidung des Europäischen Rates kann abgesehen werden, ob diese Änderung des Steuersystems weiter verfolgt wird oder nicht.