ECLI:DE:BFH:2023:B.080823.VIIIB22.22.0
BFH VIII. Senat
EStG § 18 Abs 1 Nr 1 S 2, FGO § 79 Abs 2, FGO § 115 Abs 2 Nr 1, FGO § 91, EStG VZ 2009
vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht , 07. Dezember 2021, Az: 13 K 70/18
Leitsätze
NV: Es ist in der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs geklärt, dass nicht jede mit dem Berufsrecht vereinbare Tätigkeit eines Rechtsanwalts als freiberufliche Tätigkeit gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu beurteilen ist. Für die Auslegung des Begriffs der freiberuflichen Tätigkeit gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG kommt es auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu Art und Umfang der berufsrechtlich zulässigen Rechtsanwaltstätigkeit danach nicht an.
Tenor
Die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 07.12.2021 – 13 K 70/18 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Gründe
- Die Beschwerde ist unbegründet.
- Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision sind nicht erfüllt. Die Voraussetzungen der vom Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) dargelegten Zulassungsgründe gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) liegen nicht vor.
- 1. Mit dem Vorbringen unter dem Gliederungspunkt A. des Schriftsatzes zur Beschwerdebegründung vom 02.03.2022, der Tatbestand im Urteil des Finanzgerichts (FG) sei teilweise unvollständig (lückenhaft), teilweise in sich widersprüchlich sowie unklar und widerspreche der Rechtsprechung der Zivilgerichte hinsichtlich der Behandlung eines Auftragsverhältnisses mit einem Rechtsanwalt, das (auch) maklertypische Tätigkeiten im Sinne des § 652 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) umfasse, lässt sich die Zulassung der Revision nicht erreichen. Der Kläger rügt insoweit materielle Rechtsfehler des FG, die im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren keinen Zulassungsgrund darstellen (s. zur Widersprüchlichkeit der Tatsachenfeststellung eines FG-Urteils Beschluss des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 27.07.2013 – III B 15/13, Rz 20). Die vom Kläger geltend gemachte unzutreffende rechtliche Beurteilung seiner Beratungstätigkeit durch das FG beinhaltet die Rüge eines materiellen Rechtsfehlers des FG, der außerhalb eines ‑‑hier nicht ersichtlichen‑‑ schwerwiegenden qualifizierten Rechtsanwendungsfehlers (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO) keinen Zulassungsgrund darstellt. Die Rüge der Unvollständigkeit und Fehlerhaftigkeit des Tatbestands der Vorentscheidung stellt ebenfalls keinen Verfahrensfehler dar, der gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde zur Revisionszulassung führen kann. Sie ist im Rahmen des spezielleren Antrags auf Tatbestandsberichtigung gemäß § 108 FGO zu verfolgen (BFH-Beschluss vom 02.02.2016 – X B 38/15, Rz 21).
- 2. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen.
- a) Der Kläger hält die folgenden Rechtsfragen für grundsätzlich bedeutsam:“Gebietet das Postulat einer Einheit der Rechtsordnung die jeweils einheitliche Einordnung entgeltlich an Rechtsanwälte erteilter Maklerleistungsaufträge in die zivilrechtlichen Vertragstypen des Maklervertrages oder des Anwaltsdienstvertrages einerseits und in eine gewerbliche oder freiberufliche Tätigkeit andererseits nach identischen Kriterien sowie Maßstäben?““Liegt demgemäß zur Sicherstellung der (Werte-)Einheit der Rechtsordnung unter Anwendung der vom Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung vertretenen Auslegungsregel immer dann ein einheitlicher Anwalts-Dienstvertrag und eine einheitliche freiberufliche Tätigkeit vor, wenn der Auftraggeber der Maklerleistungen neben den Maklerleistungen auch ausdrücklich eine nicht völlig unbedeutende Rechtsberatungsleistung in Auftrag gibt oder wenn die beauftragten Maklerleistungen notwendigerweise mit der Gewährung rechtlichen Beistands verbunden sind?“
- b) Diese Rechtsfragen sind nicht klärungsbedürftig.
- aa) In der Rechtsprechung des BFH ist bereits geklärt, dass gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu den freiberuflichen Tätigkeiten unter anderem die selbständige Berufstätigkeit des Rechtsanwalts gehört, vorausgesetzt, die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit ist für diesen Beruf berufstypisch, das heißt, sie ist in besonderer Weise charakterisierend und diesem Katalogberuf vorbehalten (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 14.01.2020 – VIII R 27/17, BFHE 268, 43, BStBl II 2020, 222, Rz 12, m.w.N.). Die Zugehörigkeit zu einer der in § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG genannten Berufsgruppen ist danach zwar Voraussetzung für die Annahme freiberuflicher Einkünfte. Sie reicht allein jedoch nicht aus. Eine Tätigkeit ist nicht allein deswegen als freiberuflich gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG zu beurteilen, weil sie mit dem Berufsbild eines Katalogberufs nach den berufsrechtlichen Vorschriften vereinbar ist. Der BFH hat bei der Auslegung des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG zwar auf berufsrechtliche Regelungen zurückgegriffen, er hat dies aber nie in dem Sinne getan, dass er jede mit Berufsrecht vereinbare Tätigkeit eines Rechtsanwalts als freiberufliche Tätigkeit gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG beurteilt hat. Somit kommt es für die Auslegung des Begriffs der freiberuflichen Tätigkeit gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG nicht auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu Art und Umfang der berufsrechtlich zulässigen Rechtsanwaltstätigkeit an (BFH-Urteil vom 12.12.2001 – XI R 56/00, BFHE 197, 442, BStBl II 2002, 202, unter II.2.a und b [Rz 15, 18, 19, 20], m.w.N.).
- bb) Auf dieser Grundlage ist die erste der aufgeworfenen Rechtsfragen nicht klärungsbedürftig. Die ‑‑etwaige‑‑ zivilrechtliche Einordnung der Tätigkeit des Klägers trotz ihrer maklertypischen Elemente als berufsrechtlich zulässige anwaltliche Tätigkeit führt nicht automatisch zur Annahme einheitlicher freiberuflicher Einkünfte im Katalogberuf des Rechtsanwalts gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG. Hierfür wäre vielmehr erforderlich, dass die vom Kläger entfaltete Tätigkeit der berufstypischen Tätigkeit eines Rechtsanwalts entspricht. Es ist danach bereits entschieden, dass es die vom Kläger postulierte Einheit zwischen einer anwaltlichen Tätigkeit, die mit berufsrechtlichen Vorschriften vereinbar ist, und einer daran anknüpfenden Einordnung sämtlicher anwaltlicher Einkünfte als Einkünfte aus selbständiger Arbeit gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG nicht gibt.
- cc) Die zweite aufgeworfene Rechtsfrage ist ebenfalls nicht klärungsbedürftig. Denn eine einheitliche freiberufliche Tätigkeit als Rechtsanwalt im Katalogberuf gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG im Gegensatz zu einer gemischten Tätigkeit, die anwaltliche und andere Elemente umfasst, ist nach der Rechtsprechung des BFH nicht allein dann gegeben, wenn die betrachtete Leistung zivil- und berufsrechtlich nach den Regelungen in §§ 652, 611, 675 BGB als zulässige anwaltliche Tätigkeit zu betrachten wäre.
- dd) Der Kläger hätte im Hinblick auf die gefestigte Rechtsprechung neue Gesichtspunkte aufzeigen müssen, die Veranlassung geben könnten, die dargelegten abstrakten Grundsätze erneut höchstrichterlich zu überprüfen.
- 3. Die Revision ist auch nicht zur Rechtsfortbildung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO zuzulassen. Auch insoweit wäre die Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Rechtsfragen erforderlich. Daran fehlt es, wenn ‑‑wie hier (s. unter 2.)‑‑ die Rechtsfragen anhand der gesetzlichen Grundlagen und der bereits vorliegenden Rechtsprechung beantwortet werden können und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung durch den BFH geboten erscheinen lassen (BFH-Beschluss vom 13.12.2018 – VIII B 114/18, Rz 3).
- 4. Die Revision ist auch nicht wegen des gerügten Verfahrensfehlers gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO zuzulassen.
- a) Der Kläger macht insoweit einen Verstoß des FG gegen die Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 des Grundgesetzes ‑‑GG‑‑, § 96 Abs. 2 FGO) in Gestalt einer Überraschungsentscheidung geltend, er sei entgegen der Vorgabe in § 79 Abs. 2 FGO in der Ladung zur mündlichen Verhandlung nicht darüber unterrichtet worden, dass das FG den Zeugen X vernehmen wolle. Das FG habe den Zeugen X in der mündlichen Verhandlung sodann trotz seines Widerspruchs vernommen. Diese Rüge sei jedoch nicht protokolliert worden.
- b) Aufgrund der Vernehmung des Zeugen X in der mündlichen Verhandlung, die für den Kläger aus der Ladung nicht erkennbar war und der anschließenden Verwertung der Zeugenaussage durch das FG in den Entscheidungsgründen ist aber keine Überraschungsentscheidung anzunehmen.
- aa) Der Anspruch auf rechtliches Gehör im Sinne von Art. 103 Abs. 1 GG und § 96 Abs. 2 FGO verpflichtet das Gericht unter anderem, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen, in Erwägung zu ziehen und sich mit dem entscheidungserheblichen Kern des Vorbringens auseinanderzusetzen. Darüber hinaus gebietet es der Anspruch auf rechtliches Gehör, für die Prozessbeteiligten überraschende Entscheidungen zu unterlassen. Eine Überraschungsentscheidung liegt vor, wenn das FG sein Urteil auf einen bis dahin nicht erörterten oder nicht bekannten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Auffassungen nach dem bisherigen Verlauf der Verhandlung nicht rechnen musste. Dies kann insbesondere der Fall sein, wenn ein entscheidungserheblicher Umstand vom FG erst mit dem Endurteil in das Verfahren eingebracht wird (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschluss vom 12.01.2023 – IX B 81/21, Rz 8) oder wenn das FG ‑‑anders als hier‑‑ von einer durch Beweisbeschluss angeordneten Zeugenvernehmung absieht (vgl. BFH-Beschluss vom 27.08.2021 – VIII B 126/20, Rz 14, 15).
- bb) Nach diesem Maßstab ist die Vorentscheidung keine Überraschungsentscheidung. Der Zeuge X ist zwar in der mündlichen Verhandlung befragt worden, auf dessen Vernehmung der Kläger sich im Vorfeld der mündlichen Entscheidung nicht einstellen konnte. Der Kläger und sein Prozessbevollmächtigter waren jedoch anwesend und haben den Zeugen ausweislich der Niederschrift zur mündlichen Verhandlung auch selbst befragt. Der Kläger erläutert in der Beschwerdebegründung nicht, aus welchen Gründen die ihm im Vorfeld der mündlichen Verhandlung nicht bekanntgemachte Befragung des Zeugen X und die anschließende Verwertung der Zeugenaussage dazu geführt haben, dass das FG seine Entscheidung auf einen bis dahin nicht erörterten oder nicht bekannten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt gestützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gegeben habe, mit der er als gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Auffassungen nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht rechnen musste. Es ist zudem nicht ersichtlich, dass die unterbliebene Nennung des Zeugen X in den Ladungen der Beteiligten überhaupt auf eine besondere Prozesslage zurückzuführen ist. Nach dem Inhalt der FG-Akte wurde der Zeuge X aufgrund eines gerichtlichen Versehens in der Ladung nicht genannt. Er wurde aber sowohl in der richterlichen Ladungsverfügung vom 03.11.2021 neben den weiteren Zeugen genannt und von der Geschäftsstelle des FG wie die übrigen Zeugen mit Schriftsatz vom 03.11.2021 zur mündlichen Verhandlung geladen. Die vom Kläger unterstellte Prozesslage, der Zeuge X sei vom FG nachträglich geladen worden, weil das FG seine Aussage für besonders entscheidungserheblich gehalten habe, ergibt sich aus den Akten nicht. Auch unter diesem Aspekt ist nicht erkennbar, dass das FG dem Verfahren durch die Vernehmung des Zeugen X eine unvorhersehbare Wendung gegeben haben könnte.
- 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.