XI R 61/07 – Umsätze eines ambulanten Pflegedienstes durch Gestellung von Haushaltshilfen steuerfrei

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 30.7.2008, XI R 61/07

Umsätze eines ambulanten Pflegedienstes durch Gestellung von Haushaltshilfen steuerfrei

Leitsätze

Umsätze, die eine Einrichtung zur ambulanten Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen durch Gestellung von Haushaltshilfen i.S. des § 38 SGB V erzielt, sind, sofern die übrigen Voraussetzungen des § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG erfüllt sind, steuerfrei.

Tatbestand

 
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I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine GmbH, ist eine Einrichtung zur ambulanten Pflege kranker und hilfsbedürftiger Personen. Sie war nur im Rahmen umfassender Krankenpflege oder pflegerischer Betreuung im Auftrag von Sozialversicherungsträgern tätig. Die Abrechnungen erfolgten überwiegend mit Krankenkassen. In den Streitjahren 1999 bis 2001 wurden die Pflegekosten in mindestens 40 % der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil getragen.
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Neben den typischen pflegerischen Tätigkeiten führte die Klägerin im Rahmen der von den Sozialversicherungsträgern anerkannten Grundpflege auch Tätigkeiten zur hauswirtschaftlichen Versorgung aus, sofern die Notwendigkeit hierfür durch eine ärztliche Bescheinigung oder die Unterbringung in einem Krankenhaus u.Ä. nachgewiesen wurde. Die daraus erzielten Umsätze wurden von den Versicherungsträgern nach § 38 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) abgerechnet.
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Die Klägerin erklärte in ihren Umsatzsteuererklärungen für die Streitjahre keine steuerpflichtigen Umsätze. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt –FA–) vertrat demgegenüber die Auffassung, dass Hilfen im hauswirtschaftlichen Bereich nach Abschn. 99a Abs. 3 Satz 2 der Umsatzsteuer-Richtlinien 2000 von der Steuerbefreiung ausgenommen seien.
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Die Klage hatte Erfolg (Entscheidungen der Finanzgerichte 2007, 1118).
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Mit seiner Revision rügt das FA Verletzung des § 4 Nr. 16 Buchst. e des Umsatzsteuergesetzes 1993/1999 (UStG) und unzutreffende Anwendung des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (Richtlinie 77/388/EWG). Die Gestellung einer Haushaltshilfe nach § 38 SGB V sei mit einer hauswirtschaftlichen Versorgung nach § 37 SGB V nicht vergleichbar, denn sie finde losgelöst von der Grund- und Behandlungspflege des Erkrankten statt. Sie betreffe allein die Führung des Haushalts einschließlich der Versorgung von Kindern bis zum zwölften Lebensjahr. Die bisherige Rechtsprechung habe sich ausschließlich mit der hauswirtschaftlichen Versorgung in Verbindung mit der Grund- und Behandlungspflege befasst. Zudem seien nach Art. 13 Teil A Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG von der Steuerbefreiung nach Abs. 1 Buchst. g Dienstleistungen ausgeschlossen, wenn sie zur Ausübung der Tätigkeiten, für die die Steuerbefreiung gewährt werde, nicht unerlässlich seien bzw. sie im Wesentlichen dazu bestimmt seien, der Einrichtung zusätzliche Einnahmen durch Tätigkeiten zu verschaffen, die in unmittelbarem Wettbewerb mit Tätigkeiten von der Mehrwertsteuer unterliegenden gewerblichen Unternehmen durchgeführt würden. Die Gestellung von Haushaltshilfen sei für die Ausübung der ambulanten Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen nicht unerlässlich und erfolge im Wettbewerb mit Tätigkeiten von der Mehrwertsteuer unterliegenden gewerblichen Unternehmen.
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Das FA beantragt sinngemäß, das Urteil des Finanzgerichts (FG) aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
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Das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 10. September 2000 Rs. C-141/00 –Kügler– (Slg. 2002, I-6833) erfasse auch die von Einrichtungen mit sozialem Charakter erbrachten Leistungen nach § 38 SGB V. Diese seien Sachleistungen (Personalgestellung) der gesetzlichen Sozialversicherungsträger, die durch die Steuerbefreiung entlastet werden sollten. Wie die Leistungen nach § 37 SGB V sei auch die Gestellung einer Haushaltshilfe ausschließlich durch die Erkrankung bedingt. Sie erfolge nur aufgrund ärztlicher Bescheinigung oder einer stationären Unterbringung des den Haushalt Führenden. Sie, die Klägerin, stehe nicht in Wettbewerb zu gewerblichen Unternehmen, weil die Zulassung durch die Krankenkassen Voraussetzung für die Erbringung der Leistung "Haushaltshilfe" gewesen sei.

Entscheidungsgründe

 
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II. Die Revision ist als unbegründet zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). Entgegen der Auffassung des FA verletzt die Vorentscheidung weder § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG noch wendet sie Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG unzutreffend an. Die Umsätze der Klägerin sind, auch soweit sie Leistungen nach § 38 SGB V durch Gestellung von Haushaltshilfen erbracht hat, von der Umsatzsteuer befreit.
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1. Nach § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG sind u.a. steuerfrei die mit dem Betrieb der Einrichtungen zur ambulanten Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen eng verbundenen Umsätze, wenn im vorangegangenen Kalenderjahr die Pflegekosten in mindestens 40 % der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil getragen worden sind. Die Klägerin erfüllte diese Voraussetzungen in den Streitjahren.
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a) Nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und daher für den Senat bindenden (§ 118 Abs. 2 FGO) Feststellungen war die Klägerin nur im Rahmen umfassender Krankenpflege oder pflegerischer Betreuung aufgrund der mit Sozialversicherungsträgern geschlossenen Vereinbarungen tätig, wobei die Pflegekosten in mindestens 40 % der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil getragen wurden. Damit war sie zugleich als Einrichtung mit sozialem Charakter i.S. des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG anzuerkennen (vgl. z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 24. Januar 2008 V R 54/06, BFH/NV 2008, 912, unter II.2., m.w.N.; EuGH-Urteil vom 6. November 2003 Rs. C-45/01 –Dornier–, Slg. 2003, I-12911).
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b) Leistungen im Rahmen des § 38 SGB V sind mit dem Betrieb von Einrichtungen zur ambulanten Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen eng verbunden. "Eng verbunden" i.S. des Eingangssatzes zu § 4 Nr. 16 UStG ist jede Leistung, die für die Pflege und Versorgung dieses Personenkreises unerlässlich ist (vgl. BFH-Urteil vom 25. Januar 2006 V R 46/04, BFHE 211, 571, BStBl II 2006, 481, unter II.2.a). Dazu gehört die hauswirtschaftliche Versorgung, die –wie der V. Senat des BFH bereits in seinem Vorlagebeschluss vom 3. Februar 2000 V R 1/98 (BFHE 191, 76, unter II.1.a) an den EuGH ausgeführt hat– insbesondere das Einkaufen, Kochen, Reinigen der Wohnung und das Waschen der Kleidung erfasst (vgl. auch BFH-Urteil vom 22. April 2004 V R 1/98, BFHE 205, 514, BStBl II 2004, 849, unter II.2.a, m.w.N.).
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Eng verbunden mit der Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen gemäß § 4 Nr. 16 UStG ist darüber hinaus die hauswirtschaftliche Versorgung durch eine Haushaltshilfe i.S. des § 38 SGB V. Dies ergibt sich aus § 38 SGB V unmittelbar; danach erhalten Versicherte eine Haushaltshilfe nämlich nur, wenn ihnen wegen einer Krankenhausbehandlung oder wegen einer Leistung nach § 23 Abs. 2 oder 4, §§ 24, 37, 40 oder § 41 SGB V die Weiterführung des Haushalts nicht möglich ist und in dem Haushalt ein Kind lebt, das bei Beginn der Haushaltshilfe das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet hat oder das behindert und auf Hilfe angewiesen ist.
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Dieses Auslegungsergebnis deckt sich auch mit dem von § 4 Nr. 16 UStG u.a. angestrebten Zweck, zur Kostenentlastung der Sozialversicherungsträger beizutragen (BFH-Urteil in BFH/NV 2008, 912, unter II.1.c, m.w.N.), denn auf die Gestellung einer Haushaltshilfe haben die Versicherten unter den in § 38 SGB V genannten Voraussetzungen einen Anspruch.
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2. Sollte –wie das FA meint– § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG die Gestellung einer Haushaltshilfe i.S. des § 38 SGB V nicht erfassen, könnte sich die Klägerin unmittelbar auf die Steuerbefreiung nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG berufen (vgl. dazu BFH-Urteile in BFHE 205, 514, BStBl II 2004, 849, unter II.3.; vom 18. Januar 2005 V R 99/01, BFH/NV 2005, 1392; vom 18. August 2005 V R 71/03, BFHE 211, 543, BStBl II 2006, 143).
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a) Der EuGH hat mit Urteil in Slg. 2002, I-6833 auf die Vorlage des BFH in BFHE 191, 76 entschieden, dass u.a. die Leistungen im Zusammenhang mit der hauswirtschaftlichen Versorgung, die körperlich oder wirtschaftlich hilfsbedürftigen Personen von ambulanten Pflegediensten erbracht werden, eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene und damit steuerbefreite Dienstleistungen i.S. des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG darstellen (Randnr. 42 ff.). Es besteht kein vernünftiger Zweifel daran, dass die Versorgung des Haushalts im Sinne dieser Rechtsprechung auch die Versorgung der in § 38 Abs. 1 SGB V genannten Kinder erfasst. Denn nach dem EuGH-Urteil vom 9. Februar 2006 Rs. C-415/04 –Kinderopvang Enschede– (Slg. 2006, I-1385) gehört die Kinderbetreuung, sogar unabhängig davon, aus welchen Gründen die Eltern zur Betreuung ihrer Kinder nicht in der Lage sind, ebenfalls zu den eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundenen Dienstleistungen i.S. von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG (vgl. dazu auch BFH-Urteil vom 8. November 2007 V R 2/06, BFH/NV 2008, 510, unter II.2.a).
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b) Der unmittelbaren Anwendung des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG steht auch nicht Art. 13 Teil A Abs. 2 Buchst. b 2. Gedankenstrich der Richtlinie 77/388/EWG entgegen. Danach sind u.a. von der in Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG vorgesehenen Steuerbefreiung Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen ausgeschlossen, die im Wesentlichen dazu bestimmt sind, der Einrichtung zusätzliche Einnahmen durch Tätigkeiten zu verschaffen, die in unmittelbarem Wettbewerb mit Tätigkeiten von der Mehrwertsteuer unterliegenden gewerblichen Unternehmen durchgeführt werden. Für Tätigkeiten, die –wie im Streitfall– den Kernbereich der gemeinschaftsrechtlichen Befreiungsnorm betreffen, kommt ein Ausschluss nicht in Frage (BFH-Urteil vom 3. April 2008 V R 74/07). In diesem Sinn hat auch der EuGH in seinem Urteil in Slg. 2002, I-6833 die Befreiung der hauswirtschaftlichen Leistungen eines ambulanten Pflegedienstes nicht an der Wettbewerbsschutzklausel scheitern lassen.

Quelle: bundesfinanzhof.de


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