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II. Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Stattgabe der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). Der angefochtene Lohnsteuer-Nachforderungsbescheid sowie die dazugehörige Einspruchsentscheidung sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Sie waren daher gemäß § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO aufzuheben. |
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1. Nach § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG kann das FA den Arbeitnehmer als Schuldner der Lohnsteuer in Anspruch nehmen, wenn der Arbeitgeber die Lohnsteuer nicht vorschriftsmäßig angemeldet hat (zu § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG als "Anspruchs-grundlage" vgl. Senatsentscheidung vom 13. Januar 1989 VI R 153/85, BFHE 156, 99, BStBl II 1989, 447; FG München, Urteil vom 15. Mai 2003 11 K 2986/02, EFG 2003, 1281; Trzaskalik, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 42d Rz D 5, D 7; Wagner, in Heuermann/Wagner, Lohnsteuer J Rz 131; Hartz/Meeßen/Wolf, ABC-Führer Lohnsteuer, Nachforderung von Lohnsteuer Rz 31, 35). |
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a) Nach § 38 Abs. 2 Satz 1 EStG ist der Arbeitnehmer Schuldner der Lohnsteuer. Nicht einbehaltene und nicht abgeführte Lohnsteuer kann deshalb von der Finanzbehörde grundsätzlich von ihm nachgefordert werden, und zwar auch dann, wenn das Kalenderjahr abgelaufen ist (Schmidt/Krüger, EStG, 32. Aufl., § 42d Rz 22; Trzaskalik, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 42d Rz D 7; Wagner, a.a.O., Lohnsteuer J Rz 132). Denn der Lohnsteueranspruch erlischt nicht, wenn die Einkommensteuer nach Ablauf des Kalenderjahres gemäß § 36 Abs. 1 EStG entsteht (Schmidt/Krüger, a.a.O., § 42d Rz 22; Trzaskalik, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 42d Rz D 7; Wagner, a.a.O., Lohnsteuer J Rz 132). Allerdings ist der Lohnsteuer-Nachforderungsbescheid auch in diesem Fall ein Vorauszahlungsbescheid, sofern das FA –wie vorliegend– lediglich die Lohnsteuer des fehlerhaften Abführungszeitraums festsetzt (Schmidt/Krüger, a.a.O., § 42d Rz 22). |
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b) Zugleich haftet der Arbeitgeber nach § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG für nicht einbehaltene und nicht abgeführte Lohnsteuer. Soweit diese Haftung reicht, sind der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer Gesamtschuldner (§ 42d Abs. 3 Satz 1 EStG). Das Betriebsstättenfinanzamt kann die Steuerschuld oder Haftungsschuld nach pflichtgemäßem Ermessen gegenüber jedem Gesamtschuldner geltend machen (§ 42d Abs. 3 Satz 2 EStG). Allerdings kann der Arbeitnehmer nach § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG für seine Lohnsteuer als (Gesamt)Schuldner neben dem Arbeitgeber nur in bestimmten Fällen in Anspruch genommen werden, etwa wenn der Arbeitgeber die Lohnsteuer nicht vorschriftsmäßig vom Arbeitslohn einbehalten hat (vgl. Senatsurteil vom 13. Januar 2011 VI R 61/09, BFHE 232, 5, BStBl II 2011, 479). |
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c) An einer vorschriftswidrigen Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer fehlt es, wenn der Arbeitgeber eine Anrufungsauskunft eingeholt hat und danach verfahren ist. In einem solchen Fall kann ihm nicht entgegengehalten werden, er habe die Lohnsteuer nicht vorschriftsmäßig einbehalten. Das gilt unabhängig davon, ob die Anrufungsauskunft materiell richtig oder unrichtig ist (Senatsurteil vom 16. November 2005 VI R 23/02, BFHE 212, 59, BStBl II 2006, 210, m.w.N.; Schmidt/Krüger, a.a.O., § 42d Rz 3 und § 42e Rz 8 f.). Ist der Arbeitgeber entsprechend einer Anrufungsauskunft verfahren, hat er den "Weisungen und Vorschriften" des Auftrag gebenden Finanzamts Rechnung getragen und damit die Lohnsteuer vorschriftsmäßig einbehalten und abgeführt (Schmidt/Krüger, a.a.O., § 42d Rz 3). Der Haftungstatbestand ist in diesen Fällen nicht erfüllt (Senatsurteil in BFHE 212, 59, BStBl II 2006, 210, m.w.N.; Schmidt/Krüger, a.a.O., § 42d Rz 3; Blümich/Wagner, § 42d EStG Rz 51; Trzaskalik, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 42d Rz B 1; Gersch in Herrmann/Heuer/Raupach, § 42e EStG Rz 24). |
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d) Überdies führt die ordnungsgemäße Abführung der auskunftsgemäß einbehaltenen Lohnsteuer zum Erlöschen des Lohnsteueranspruchs des FA (§ 47 der Abgabenordnung –AO–). Der Arbeitnehmer (Steuerschuldner) kann damit nicht mehr auf Zahlung der Lohnsteuer in Anspruch genommen werden, und zwar auch dann nicht, wenn der Arbeitgeber die Lohnsteuer aufgrund einer materiell unrichtigen Lohnsteueranrufungsauskunft einbehalten und abgeführt hat. In einem solchen Fall wird zwar nicht die Einkommensteuerschuld, aber die Lohnsteuerschuld i.S. des § 38 Abs. 2 EStG des Arbeitnehmers wie auch die Entrichtungsschuld des Arbeitgebers durch das Finanzamt im Wege der Anrufungsauskunft verbindlich festgestellt. Es kann daher die vom Arbeitgeber aufgrund einer unrichtigen Anrufungsauskunft nicht einbehaltene und abgeführte Lohnsteuer vom Arbeitnehmer nicht nach § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG nachfordern (Blümich/ Heuermann, § 42e EStG Rz 31; Seer in Tipke/Kruse, § 89 AO Rz 109; Wagner, a.a.O., Lohnsteuer K Rz 32). Denn die Finanzbehörden sind zwar nicht im Veranlagungsverfahren, aber im Rahmen des Lohnsteuerabzugsverfahrens und damit des Vorauszahlungsverfahrens (vgl. Senatsurteil in BFHE 232, 5, BStBl II 2011, 479, m.w.N.) auch gegenüber dem Arbeitnehmer gebunden (Trzaskalik, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 42e Rz B 13; Dißars, Die Information für Steuerberater und Wirtschaftsprüfer (INF) 2003, 862 <865>; Blümich/Heuermann, § 42e EStG Rz 38; Schmidt/Krüger, a.a.O, § 42d Rz 24 bis zum Abschluss des Lohnsteuerabzugsverfahrens; a.A. Eisgruber in Kirchhof, EStG, 12. Aufl., § 42e Rz 6 f.; Frotscher in Frotscher, EStG, Freiburg 2011, § 42e Rz 23). Die Frage nach der Anwendung der lohnsteuerrechtlichen Vorschriften ist einheitlich zu beantworten (Trzaskalik, in: Kirchhof/ Söhn/Mellinghoff, EStG, § 42e Rz B 13; Blümich/Heuermann, § 42e EStG Rz 31; Wagner, a.a.O., Lohnsteuer K Rz 32). Ob die Anrufungsauskunft nach § 42e EStG insoweit als Verwaltungsakt mit Drittwirkung zu beurteilen ist, braucht der Senat hierbei nicht zu entscheiden (so Drenseck, Verwaltungsakte im Lohn- und Einkommensteuerverfahren, in Stolterfoht, Grundfragen des Lohnsteuerrechts 1986, 377, <396>; Schmidt/Krüger, a.a.O., § 42e Rz 9; Dißars, INF 2003, 862 <865>; Blümich/Heuermann, § 42e EStG Rz 31; Seer, a.a.O., § 89 AO Rz 109). Jedenfalls kann sich der Arbeitgeber auf eine dem Arbeitnehmer erteilte Auskunft berufen und umgekehrt (Trzaskalik, in: Kirchhof/ Söhn/Mellinghoff, EStG, § 42e Rz B 13; Dißars, INF 2003, 862 <864 f.>; Blümich/Heuermann, § 42e EStG Rz 31; Seer, a.a.O., § 89 AO Rz 109). An der gegenteiligen Auffassung, nach der das FA nicht gehindert ist, im Lohnsteuerverfahren dem Arbeitnehmer gegenüber einen anderen, ungünstigeren Rechtsstandpunkt zu vertreten als im Auskunftsverfahren gegenüber dem Arbeitgeber (Senatsbeschluss vom 22. Mai 2007 VI B 143/06, BFH/NV 2007, 1658), hält der Senat nicht fest. Denn das dem Arbeitnehmer eingeräumte Antragsrecht wäre ansonsten praktisch wertlos. Arbeitgeber und Arbeitnehmer wären gezwungen, jeweils einen gemeinsamen Antrag nach § 42e EStG zu stellen (Seer, a.a.O., § 89 AO Rz 109). |
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2. Die Entscheidung des FG entspricht diesen Grundsätzen nicht. Vielmehr steht der streitigen Lohnsteuernachforderung die dem Arbeitgeber des Klägers am 29. Juni 2006 im Rahmen des Lohnsteuerabzugs erteilte Anrufungsauskunft entgegen (vgl. Senatsurteil in BFHE 232, 5, BStBl II 2011, 479). Denn das Nachforderungsverfahren ist die Fortsetzung des Lohnsteuerabzugsverfahrens (Drenseck, Verwaltungsakte im Lohn- und Einkommensteuerverfahren, in Stolterfoht, Grundfragen des Lohnsteuerrechts 1986, 377, <424>). |
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