|
|
|
II. Die Revision des Klägers ist begründet. |
|
|
Sie führt für die Streitjahre 2000 bis 2002 zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur antragsgemäßen Herabsetzung der Umsatzsteuer (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung –FGO–), für das Streitjahr 2003 zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Entgegen dem Urteil des FG unterliegen die Umsätze des Klägers in den Streitjahren 2000 bis 2002 in vollem Umfang und im Streitjahr 2003 zum Teil dem ermäßigten Steuersatz. |
|
|
1. Nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG 1999 in der in den Streitjahren geltenden Fassung ermäßigt sich die Steuer auf 7 v.H. für die "Lieferung" der in der Anlage bezeichneten Gegenstände. Dazu gehören u.a. "Zubereitungen von Fleisch …" (Nr. 28), "Zubereitungen aus Getreide, Mehl, Stärke oder Milch" (Nr. 31) und "verschiedene Lebensmittelzubereitungen" (Nr. 33). Damit hat der nationale Gesetzgeber von dem ihm in Art. 12 Abs. 3 Buchst. a Unterabs. 3, Anhang H Nr. 1 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) eingeräumten Ermessen hinsichtlich der Anwendung eines ermäßigten Steuersatzes Gebrauch gemacht. Nach Art. 12 Abs. 3 Buchst. a Unterabs. 3 der Richtlinie 77/388/EWG können die Mitgliedstaaten einen oder zwei ermäßigte Steuersätze anwenden. Diese ermäßigten Steuersätze "… sind nur auf Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen der in Anhang H genannten Kategorien anwendbar". In Anhang H Nr. 1 der Richtlinie 77/388/EWG sind genannt: "Nahrungs- und Futtermittel (einschließlich Getränke, alkoholische Getränke jedoch ausgenommen), lebende Tiere, Saatgut, Pflanzen und üblicherweise für die Zubereitung von Nahrungs- und Futtermitteln verwendete Zutaten, üblicherweise als Zusatz oder Ersatz für Nahrungs- und Futtermittel verwendete Erzeugnisse." |
|
|
a) Lieferungen sind nach § 3 Abs. 1 UStG Leistungen, durch die der Unternehmer den Abnehmer befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen (Verschaffung der Verfügungsmacht). Nicht begünstigt sind sonstige Leistungen. Eine sonstige Leistung ist nach § 3 Abs. 9 Satz 4 UStG die Abgabe von Speisen und Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle. Speisen und Getränke werden zum Verzehr an Ort und Stelle abgegeben, wenn sie nach den Umständen der Abgabe dazu bestimmt sind, an einem Ort verzehrt zu werden, der mit dem Abgabeort in einem räumlichen Zusammenhang steht, und besondere Vorrichtungen für den Verzehr an Ort und Stelle bereitgehalten werden (§ 3 Abs. 9 Satz 5 UStG). |
|
|
b) Die Abgabe von Bratwürsten, Pommes Frites und ähnlichen standardisiert zubereiteten Speisen an einem mit behelfsmäßigen Verzehrvorrichtungen ausgestatteten Imbissstand ist eine einheitliche Leistung (vgl. EuGH-Urteil Bog u.a. in UR 2011, 272 Rdnr. 56; BFH-Urteile vom 18. Dezember 2008 V R 55/06, BFHE 223, 539, BFH/NV 2009, 673; vom 1. April 2009 XI R 3/08, BFH/NV 2009, 1469), die eine Lieferung darstellt und die gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG in Verbindung mit Nr. 28, 31 und 33 der Anlage zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG dem ermäßigten Steuersatz unterliegt. |
|
|
aa) Bei der Abgrenzung zwischen Lieferung und Dienstleistung ist auf die Sicht des Durchschnittsverbrauchers abzustellen. Maßgebend ist eine Gesamtbetrachtung aller Umstände, unter denen der Umsatz erfolgt. Im Rahmen dieser Gesamtbetrachtung ist "die qualitative und nicht nur quantitative Bedeutung der Dienstleistungselemente im Vergleich zu den Elementen einer Lieferung von Gegenständen zu bestimmen" (EuGH-Urteil Bog u.a. in UR 2011, 272 Rdnr. 62; BFH-Urteile vom 18. Februar 2009 V R 90/07, BFHE 225, 210, BFH/NV 2009, 1551; in BFHE 215, 360, BStBl II 2007, 487, m.w.N., und vom 10. August 2006 V R 55/04, BFHE 214, 474, BStBl II 2007, 480, m.w.N.). |
|
|
bb) Zu der Frage, ob die einheitliche Leistung bei der Abgabe standardisiert zubereiteter, verzehrfertiger Speisen an mit behelfsmäßigen Verzehrvorrichtungen ausgestatteten Imbissständen als Lieferung oder als Dienstleistung einzustufen ist, hat der EuGH im Urteil Bog u.a. in UR 2011, 272 entschieden, dass die Lieferung von Speisen oder Mahlzeiten zum sofortigen Verzehr das überwiegende Element der betreffenden Umsätze darstellt, da die Dienstleistungselemente nur in der Bereitstellung behelfsmäßiger Vorrichtungen bestehen, d.h. "ganz einfacher Verzehrtheken ohne Sitzgelegenheit, um einer beschränkten Zahl von Kunden den Verzehr an Ort und Stelle im Freien zu ermöglichen. Solche behelfsmäßigen Vorrichtungen erfordern nur einen geringfügigen personellen Einsatz. Unter diesen Umständen stellen diese Elemente nur geringfügige Nebenleistungen dar und können am dominierenden Charakter der Hauptleistung, d.h. dem einer Lieferung von Gegenständen, nichts ändern" (Rdnr. 70). "Ob die Kunden die genannten behelfsmäßigen Vorrichtungen benutzen, ist ohne Bedeutung, da der sofortige Verzehr an Ort und Stelle, der kein wesentliches Merkmal des betreffenden Umsatzes darstellt, nicht für dessen Natur bestimmend sein kann" (Rdnr. 74). |
|
|
Soweit für den Verzehr Mobiliar (Stehtische, Hocker, Stühle und Bänke) zur Verfügung steht, ist zu berücksichtigen, dass "das bloße Vorhandensein dieses Mobiliars, das nicht ausschließlich dazu bestimmt ist, den Verzehr solcher Lebensmittel möglicherweise zu erleichtern, nicht als Dienstleistungselement angesehen werden [kann], das geeignet wäre, dem Umsatz insgesamt die Eigenschaft einer Dienstleistung zu verleihen" (Rdnr. 73). |
|
|
cc) Der Anwendung dieser Grundsätze im Streitfall steht die Regelung in § 3 Abs. 9 Sätze 4 und 5 UStG nicht entgegen. Nach ständiger Rechtsprechung hat das innerstaatliche Gericht, das im Rahmen seiner Zuständigkeit die Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts anzuwenden hat, für die volle Wirksamkeit dieser Normen Sorge zu tragen, indem es erforderlichenfalls jede entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewandt lässt (vgl. z.B. EuGH-Urteil vom 19. November 2009 C-314/08 Filipiak, Slg. 2009, I-11049, BFH/NV 2010, 136 Rdnrn. 81, 82, m.w.N.; BFH-Urteile vom 17. Juli 2008 X R 62/04, BFHE 222, 428, BStBl II 2008, 976, unter II.2.a; vom 22. Juli 2008 VIII R 101/02, BFHE 222, 453, BStBl II 2010, 265, unter IV.1.). Für die Anwendung des § 3 Abs. 9 Sätze 4 und 5 UStG bedeutet dies, dass soweit die Vorschrift nicht richtlinienkonform ist, die unionsrechtlichen Grundsätze zur Abgrenzung Lieferung und sonstige Leistung maßgebend sind (BFH-Urteil in BFHE 223, 539, BFH/NV 2009, 673, unter II.4.a, m.w.N.) und dabei die vorstehende EuGH-Rechtsprechung zu beachten ist. |
|
|
2. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze handelt es sich bei den mit dem Imbissstand erzielten Umsätzen des Klägers in den Streitjahren 2000 bis 2002 um Lieferungen, die dem ermäßigten Umsatzsteuersatz unterliegen. |
|
|
a) Nach den das Gericht gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen des FG verkaufte der Kläger Bratwürste, Pommes Frites und täglich wechselnde Gerichte. Dabei geht der Senat davon aus, dass es sich um verzehrfertige Speisen handelte, die keine über die einfache, standardisierte Zubereitung von Lebensmitteln hinausgehenden Leistungen des Klägers erforderten. |
|
|
b) Entgegen dem Urteil des FG führen das Vorhandensein und die Nutzung der vor dem Imbissstand installierten städtischen Bank zum Verzehr der zubereiteten Speisen nicht zur Beurteilung als sonstige Leistung. |
|
|
aa) Verzehrvorrichtungen sind bei der Abgrenzung zwischen Lieferung und Dienstleistung nur zu berücksichtigen, wenn sie vom Leistenden ausschließlich dazu bestimmt wurden, den Verzehr von Lebensmitteln möglicherweise zu erleichtern (EuGH-Urteil Bog u.a. in UR 2011, 272 Rdnr. 73). Das FG hat sich insoweit auf die Rechtsprechung des Senats gestützt, wonach Verzehrvorrichtungen eines Dritten berücksichtigt werden können, wenn diese auch im Interesse des leistenden Unternehmers zur Verfügung gestellt waren (vgl. zuletzt Urteil in BFHE 215, 360, BStBl II 2007, 487; BFH-Urteil vom 10. August 2006 V R 38/05, BFHE 214, 480, BStBl II 2007, 482). Im Hinblick auf das EuGH-Urteil Bog u.a. in UR 2011, 272 hält der Senat daran nicht mehr fest (Änderung der Rechtsprechung). |
|
|
bb) Im Streitfall ist daher die Berücksichtigung der Bank ausgeschlossen, weil sie nicht vom Kläger als Verzehrvorrichtung zur Verfügung gestellt, sondern von der Stadt im Rahmen des Gemeingebrauchs der Allgemeinheit überlassen wurde. |
|
|
cc) Die streitigen Umsätze des Klägers unterliegen gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG dem ermäßigten Steuersatz, weil die von ihm gelieferten Lebensmittel in der Anlage zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG bezeichnet sind (Zubereitungen von Fleisch usw. –Nr. 28–, aus Getreide, Mehl, Stärke oder Milch sowie Backwaren –Nr. 31–, Zubereitungen von Gemüse, Früchten usw. –Nr. 32– oder verschiedene Lebensmittelzubereitungen –Nr. 33–). Aus der Antwort zu 2 des EuGH-Urteils Bog u.a. in UR 2011, 272 ergibt sich, dass dies im Einklang mit Anhang H der Richtlinie 77/388/EWG steht, weil Anhang H auch Speisen oder Mahlzeiten umfasst, die durch Kochen, Braten, Backen oder auf sonstige Weise zum sofortigen Verzehr zubereitet worden sind. |
|
|
3. Die im Streitjahr 2003 erzielten Umsätze des Klägers aus dem Betrieb des Imbissstands unterliegen nach den vorstehenden Grundsätzen bis zum 31. Juli 2003 in voller Höhe als Lieferungen dem ermäßigten Steuersatz. Seit dem 1. August 2003 erzielte der Kläger daneben aber auch Umsätze, die als Dienstleistungen anzusehen sind und daher dem Regelsteuersatz unterliegen. |
|
|
a) Wie das FG festgestellt hat, hatte der Kläger ab dem 1. August 2003 vor seinem Imbiss eine Bierzeltgarnitur aufgestellt, die aus einem Tisch und zwei Bänken bestand. Bei den hierauf entfallenden Umsätzen handelt es sich nicht um die Lieferungen von Lebensmitteln, sondern um Dienstleistungen. |
|
|
Als für Restaurationsleistungen charakteristische Dienstleistungsbestandteile erwähnt der EuGH im Urteil Bog u.a. in UR 2011, 272 Rdnr. 69 zwar Kellnerservice, Beratung und Bedienung der Kunden im eigentlichen Sinne sowie das Vorhandensein geschlossener, temperierter Räume speziell für den Verzehr der abgegebenen Speisen, Garderobe und Toiletten und die Bereitstellung von Geschirr, Mobiliar und Gedeck. Während die Bereitstellung "behelfsmäßiger Vorrichtungen, d.h. ganz einfacher Verzehrtheken ohne Sitzgelegenheit" nur als geringfügige Nebenleistung anzusehen sind und am dominierenden Charakter einer Lieferung von Gegenständen nichts ändern (Rdnr. 70 des EuGH-Urteils Bog u.a. in UR 2011, 272), verlangen dem Verzehr dienliche Elemente, wie die Bereitstellung von Geschirr, Besteck oder Mobiliar –im Unterschied zur bloßen Bereitstellung einer behelfsmäßigen Infrastruktur im Fall von Imbissständen, Imbisswagen oder Kinos– einen gewissen personellen Einsatz, um das gestellte Material herbeizuschaffen, zurückzunehmen und gegebenenfalls zu reinigen (EuGH-Urteil Bog u.a in UR 2011, 272 Rdnr. 79). |
|
|
Im Unterschied zur lediglich "behelfsmäßigen Infrastruktur" von Imbissständen stellte der Kläger seinen Kunden seit dem 1. August 2003 zusätzlich "Mobiliar" (Tisch mit Sitzgelegenheit) zur Verfügung, das ausschließlich dazu bestimmt war, den Verzehr der Speisen zu erleichtern. Unter Berücksichtigung des Umstands, dass der Auf- und Abbau sowie die Reinigung der Bierzeltgarnitur einen "gewissen personellen Einsatz" erfordern, wird im Streitfall die Schwelle zum Restaurationsumsatz überschritten. |
|
|
b) Das FG-Urteil entspricht insoweit nicht den Grundsätzen der EuGH-Rechtsprechung, als es die gesamten Imbissstand-Umsätze in 2003 dem Regelsteuersatz unterworfen hat. Das Urteil ist daher aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen. Das FG hat –von seinem Standpunkt aus zutreffend– noch keine Feststellungen zum Umfang der auf die Bierzeltgarnitur entfallenden Restaurationsumsätze getroffen. |
|
|
c) Im zweiten Rechtsgang wird das FG eine Aufteilung der Umsätze des Streitjahres 2003 vorzunehmen haben. Sofern der Kläger im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht (§ 90 Abs. 1 der Abgabenordnung) hierzu keine aussagekräftigen Aufzeichnungen vorlegt, kann die Aufteilung im Wege einer Schätzung erfolgen. Bestehen keine Zweifel daran, dass die Bierzeltgarnitur auch im November und Dezember 2003 aufgestellt wurde, ist es nicht zu beanstanden, wenn das FG bei der Aufteilung des um 10 % (Außer-Haus-Verkäufe) geminderten Umsatzes vom 1. August bis 31. Dezember 2003 auch das Verhältnis der (möglichen) Stehplätze am Imbissstand zu den (möglichen) Sitzplätzen auf den beiden Bänken der Bierzeltgarnitur berücksichtigt. |
|