II B 102/07 – Keine unzulässige Rückwirkung des 3. KraftStÄndG – Abgrenzung zwischen PKW und LKW nach Wegfall des § 23 Abs. 6a StVZO – kein Vertrauensverstoß durch gesetzgeberische Klarstellung – Maßgeblichkeit des nationalen Rechts

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 18.3.2008, II B 102/07

Keine unzulässige Rückwirkung des 3. KraftStÄndG – Abgrenzung zwischen PKW und LKW nach Wegfall des § 23 Abs. 6a StVZO – kein Vertrauensverstoß durch gesetzgeberische Klarstellung – Maßgeblichkeit des nationalen Rechts

Tatbestand

 
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I. Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) besitzt ein erstmals am 16. Juli 1993 zum Verkehr zugelassenes Fahrzeug mit einem zulässigen Gesamtgewicht von 3 150 kg, das am 9. Januar 2003 als Bürofahrzeug zugelassen worden ist. Am 29. Januar 2007 erließ der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt –FA–) einen nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 des Kraftfahrzeugsteuergesetzes (KraftStG) geänderten Bescheid über Kraftfahrzeugsteuer, mit dem die Steuer vom 9. Januar 2005 bis zum 30. April 2005 nach dem bisherigen Jahresbetrag von 185 EUR, ab dem 1. Mai 2005 nach einem neuen Jahresbetrag von 1 470 EUR berechnet wurde, weil gemäß § 8 Nr. 1 KraftStG ab diesem Tag das Kraftfahrzeug der Besteuerung als Personenkraftwagen (PKW) unterliege.
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Am 8. Februar 2007 beantragte der Antragsteller die Aussetzung der Vollziehung (AdV). Am 21. Februar 2007 führte er das am 7. Februar 2007 von der Zulassungsstelle vom Büromobil zum Wohnmobil umgeschriebene Fahrzeug beim FA vor. Dieses stellte fest, dass die Voraussetzungen für die Besteuerung als Wohnmobil gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 b KraftStG nicht vorlagen, insbesondere weil die Stehhöhe nur maximal 155 cm betrug. Am 2. März 2007 führte er das am 22. Februar 2007 wieder auf Büromobil umgeschriebene Fahrzeug erneut beim FA vor. Dieses stellte ausweislich eines Aktenvermerks vom 5. März 2007, dem ein Foto beigeheftet ist, fest, dass in dem Fahrzeug weder ein Tisch, noch ein Aktenschrank und auch keine gegenüberliegenden Sitze vorhanden waren, sondern vielmehr sieben Sitze in der üblichen Anordnung. Das FA lehnte den Antrag auf AdV mit Bescheid vom 23. März 2007 ab.
3 
Am 19. April 2007 wurde das Fahrzeug des Antragstellers stillgelegt. Mit Bescheid vom 9. Mai 2007 setzte das FA daher die Kraftfahrzeugsteuer nach § 12 Abs. 2 Nr. 3 KraftStG neu fest. Den Einspruch gegen beide Bescheide wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom 24. Mai 2007 ab; die Klage ist beim Finanzgericht (FG) anhängig.
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Mit dem Antrag auf AdV beim FG vom 31. Juli 2007 beantragte der Antragsteller sinngemäß, die Kraftfahrzeugsteuerbescheide vom 29. Januar und vom 9. Mai 2007 bis zur Entscheidung des FG in der Hauptsache von der Vollziehung auszusetzen.
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Der Antrag blieb erfolglos. Hiergegen richtet sich die Beschwerde. Mit ihr macht der Antragsteller im Wesentlichen geltend, die Änderung des KraftStG im Dezember 2006 mit Wirkung ab 1. Mai 2005 durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes vom 21. Dezember 2006 (3. KraftStÄndG) (BGBl I 2006, 3344) verstoße gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot.
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Der Antragsteller beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Kraftfahrzeugsteuerbescheide vom 29. Januar und vom 9. Mai 2007 bis zur Entscheidung des FG in der Hauptsache von der Vollziehung auszusetzen.

Entscheidungsgründe

 
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II. Die Beschwerde ist unbegründet. Die Vollziehung der Kraftfahrzeugsteuerbescheide vom 29. Januar 2007 und vom 9. Mai 2007 ist nicht auszusetzen. Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieser Bescheide.
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1. Gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann das Gericht auf Antrag die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes aussetzen, soweit ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes bestehen oder –was vorliegend nicht in Betracht kommt– seine Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes bestehen, wenn und soweit bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage aufgrund der präsenten Beweismittel, des unstreitigen Sachverhalts und der gerichtsbekannten Tatsachen erkennbar wird, dass aus gewichtigen Gründen Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen oder Unsicherheit oder Unentschiedenheit in der Beurteilung von Rechtsfragen besteht und sich bei abschließender Klärung dieser Fragen der Verwaltungsakt als rechtswidrig erweisen kann (vgl. m.w.N. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 1. Juni 2006 II B 148/05, BFH/NV 2006, 1627; vom 23. Februar 2007 IX B 222/06, BFH/NV 2007, 1351).
9 
2. Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Kraftfahrzeugsteuerbescheide vom 29. Januar 2007 und vom 9. Mai 2007, insbesondere auch nicht gegen die steuerrechtliche Behandlung des Fahrzeugs als PKW.
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a) Bei dem Fahrzeug des Antragstellers handelt es sich –wovon auch das FG ausgegangen ist– um einen PKW und nicht etwa –wie der Antragsteller meint– um ein "anderes Kraftfahrzeug mit einem verkehrsrechtlich zulässigen Gesamtgewicht bis 3.500 Kilogramm" i.S. des § 9 Abs. 1 Nr. 3 KraftStG.
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Bei summarischer Prüfung ist das streitgegenständliche Kraftfahrzeug ein PKW, da es nach seiner Bauart und Ausstattung zur Beförderung von nicht mehr als neun Personen (einschließlich Fahrer) geeignet und bestimmt ist (§ 4 Abs. 4 Nr. 1 des Personenbeförderungsgesetzes –PBefG–; vgl. m.w.N. BFH-Beschluss vom 21. August 2006 VII B 333/05, BFHE 213, 281, BStBl II 2006, 721). Die Einstufung des Kraftfahrzeugs durch die Verkehrsbehörde als Büromobil hat kraftfahrzeugsteuerrechtlich keine Bindungswirkung (BFH-Beschlüsse in BFHE 213, 281, BStBl II 2006, 721; vom 26. Oktober 2006 VII B 136/06, BFH/NV 2007, 773; vom 7. November 2006 VII B 96/06, BFH/NV 2007, 783).
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Nach dem Inhalt der Akten und dem bei den Akten befindlichen Foto war das Kraftfahrzeug nicht als Büromobil eingerichtet. Der BFH vermag hier zu keinem anderen Ergebnis kommen als das FG. Auf dem Foto, das der Antragsteller selbst als "ein wenig unglücklich" bezeichnet, sind weder ein Tisch zu erkennen noch ein Schrank für Akten noch ein Platz für Büromaschinen; das FA hat bei der Vorführung am 2. März 2007 aktenkundig festgehalten, dass diese Einrichtungsgegenstände tatsächlich nicht vorhanden seien. Ein Foto, auf dem die für ein Büromobil erforderlichen Einrichtungselemente erkennbar wären, oder ein anderes Beweismittel, etwa das vom Antragsteller erwähnte Sachverständigengutachten, aus dem sich ergeben würde, dass jene vorhanden sind, hat der Antragsteller nicht vorgelegt.
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b) Entgegen der Auffassung des Antragstellers liegt auch keine verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung einer für den Streitfall maßgeblichen kraftfahrzeugsteuerrechtlichen Vorschrift vor. Denn für die rechtliche Beurteilung der am 1. Mai 2005 vorhandenen tatsächlichen Verhältnisse bedarf es keines Rückgriffs auf die durch das 3. KraftStÄndG neu geschaffenen Regelung in § 2 Abs. 2 a Nr. 2 KraftStG. Denn nach Aufhebung des § 23 Abs. 6 a der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) gilt auch für Kraftfahrzeuge mit –wie im Streitfall– einem zulässigen Gesamtgewicht von über 2,8 t der vom BFH entwickelte Grundsatz, dass anhand von Bauart und Einrichtung des Kraftfahrzeugs zu beurteilen ist, ob ein LKW oder PKW vorliegt. § 2 Abs. 2 a Nr. 2 KraftStG hat insoweit lediglich klarstellende Bedeutung (vgl. BFH-Beschluss vom 13. April 2007 IX B 14/07, BFH/NV 2007, 1352, m.w.N.).
14 
Das Vertrauen des Bürgers in den Bestand der Rechtsordnung kann dann nicht berührt sein, wenn der Gesetzgeber eine sich schon aus dem bisher geltenden Recht ergebende Rechtsfolge ausdrücklich im Gesetz festlegt, die Rechtslage also nicht ändert, sondern nur klarstellt (Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts –BVerfG– vom 24. Juli 1968  1 BvR 537/65, BVerfGE 24, 75, 92; BFH-Urteil vom 14. April 1986 IV R 260/84, BFHE 146, 411, BStBl II 1986, 518).
15 
Schutzwürdiges Vertrauen auf den Fortbestand der bis 1. Mai geltenden Rechtslage bestand auch deshalb nicht, weil mit einer solchen Regelung gerechnet werden musste (vgl. zu dieser Einschränkung des Rückwirkungsverbots Entscheidungen des BVerfG vom 30. April 1952  1 BvR 14/52 u.a., BVerfGE 1, 264, 280; vom 24. April 1953  1 BvR 102/51, BVerfGE 2, 237, 264 f.). Die steuerlichen Folgen der Aufhebung des § 23 Abs. 6 a StVZO für die im Gesetz genannten Fahrzeuge mit einem zulässigen Gesamtgewicht über 2,8 t waren seit Verkündung der Verordnung zur Änderung der StVZO im November 2004 und dem vor dem 1. Mai 2005 eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuerrechts allgemein bekannt (vgl. Begr. zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung kraftfahrzeugsteuerlicher Vorschriften auch hinsichtlich der Wohnmobilbesteuerung, BTDrucks 16/519, 8).
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c) Das FA war nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 KraftStG auch zur Neufestsetzung der Kraftfahrzeugsteuer auf den 1. Mai 2005 durch Bescheid vom 29. Januar 2007 berechtigt, weil sich infolge einer Änderung der Bemessungsgrundlage eine andere Steuer ergibt.
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Die Neufestsetzung kann rückwirkend auf den Zeitpunkt, in dem sich die Bemessungsgrundlage geändert hat, hier also zum 1. Mai 2005 erfolgen (BFH-Beschluss vom 25. März 1999 VII B 294/98, BFH/NV 1999, 1252, unter Hinweis auf BFH-Urteil vom 10. Juli 1990 VII R 12/88, BFHE 162, 141, BStBl II 1990, 929). Auf die vom Antragsteller aus § 12 Abs. 2 Nr. 4 KraftStG als Änderungsvorschrift gezogenen Schlussfolgerungen kommt es nicht an.
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Da das FA gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 KraftStG eine Neufestsetzung der Kraftfahrzeugsteuer für alle Zeiträume vornehmen kann, für die die Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen ist (BFH-Beschluss in BFH/NV 1999, 1252), ergeben sich ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Steuerbescheids auch nicht daraus, dass das FA mit der Neufestsetzung der Kraftfahrzeugsteuer bis zum Inkrafttreten des 3. KraftStÄndG zugewartet hat.
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d) Auch soweit der Antragsteller geltend macht, das Kraftfahrzeug hätte (vorübergehend) als Wohnmobil besteuert werden müssen, ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Steuerbescheids. Das Kraftfahrzeug ist kein Wohnmobil i.S. des § 2 Abs. 2 b KraftStG, da es u.a. die gesetzliche Stehhöhe von mindestens 170 cm nicht erreicht. Dies wird vom Antragsteller auch nicht in Abrede gestellt.
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Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Richtlinie 70/156/EWG. Diese enthält keine Bestimmung über die Einstufung von Kraftfahrzeugen. Den gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen sind keine für die Mitgliedstaaten als verbindlich anzusehenden Festlegungen hinsichtlich der Einteilung von Kraftfahrzeugen für die Zwecke der Erhebung von Kraftfahrzeug- und Zulassungssteuern zu entnehmen. Maßgebend ist vielmehr das nationale Recht der einzelnen Mitgliedstaaten (vgl. m.w.N. BFH-Urteil vom 28. November 2006 VII R 11/06, BFHE 215, 568, BStBl II 2007, 338; BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2007, 1351; in BFH/NV 2007, 783; in BFHE 213, 281, BStBl II 2006, 721; vom 7. November 2006 VII B 69/06, nicht veröffentlicht). Danach ist die in § 2 Abs. 2 b KraftStG bestimmte Stehhöhe maßgeblich.
21 
Soweit das KraftStG in § 2 Abs. 2 b auf Anhang II Abschn. A Nr. 5.1 der Richtlinie 70/156/EWG verweist, sind zwar die durch diese statische Verweisung in Bezug genommenen gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen verbindlich. Diese enthalten aber keine Bestimmung zur Stehhöhe; insoweit verbleibt es dabei, dass die in § 2 Abs. 2 b KraftStG bestimmte Stehhöhe maßgeblich ist.

Quelle: bundesfinanzhof.de


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