Grundsteuer: Nachweis eines niedrigeren (gemeinen) Werts – Zusammenfassung des Beschlusses vom 27. Mai 2024, II B 78/23 (AdV)

Gericht: Bundesfinanzhof (BFH), II. Senat
ECLI: DE:BFH:2024.270524.IIB78.23.0

Leitsätze

Die Bewertungsvorschriften der §§ 218 ff. des Bewertungsgesetzes (BewG) in der Fassung des Grundsteuer-Reformgesetzes vom 26.11.2019 sind verfassungskonform dahin auszulegen, dass im Einzelfall der Nachweis eines niedrigeren (gemeinen) Werts erfolgen kann. Hierfür ist der Nachweis erforderlich, dass der Wert der wirtschaftlichen Einheit den festgestellten Grundsteuerwert erheblich unterschreitet.

Tenor

Die Beschwerde des Finanzamts gegen den Beschluss des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz vom 23.11.2023 wird als unbegründet zurückgewiesen. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt das Finanzamt.

Tatbestand

Die Antragstellerin ist Eigentümerin eines Grundstücks mit einem Einfamilienhaus. Das Finanzamt stellte den Grundsteuerwert für das Jahr 2022 auf 91.600 € fest. Die Antragstellerin legte Einspruch ein und beantragte die Aussetzung der Vollziehung (AdV), da sie den festgestellten Grundsteuerwert aufgrund des schlechten Zustands des Gebäudes für zu hoch hielt. Das Finanzgericht gab dem Antrag auf AdV statt, woraufhin das Finanzamt Beschwerde einlegte.

Entscheidungsgründe

Der Bundesfinanzhof bestätigte die Entscheidung des Finanzgerichts und wies die Beschwerde des Finanzamts zurück:

  1. Zulässigkeit des AdV-Antrags: Der Finanzrechtsweg ist eröffnet, da es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit über eine Abgabenangelegenheit handelt. Der Rechtsstreit betrifft die Feststellung des Grundsteuerwerts, welche der Gesetzgebung des Bundes und der Verwaltung durch die Landesfinanzbehörden unterliegt.
  2. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids: Ernstliche Zweifel sind gegeben, wenn gewichtige Gründe sowohl für als auch gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids sprechen. Im vorliegenden Fall bestehen solche Zweifel aufgrund der Möglichkeit, dass der festgestellte Grundsteuerwert erheblich über dem gemeinen Wert liegt.
  3. Verfassungskonforme Auslegung der Bewertungsvorschriften: Die typisierenden und pauschalierenden Bewertungsvorschriften sind verfassungskonform auszulegen. Dabei muss im Einzelfall der Nachweis eines niedrigeren gemeinen Wertes möglich sein, um eine Übermaßbesteuerung zu vermeiden.
  4. Besondere Umstände des Einzelfalls: Die Antragstellerin hat dargelegt, dass ihr Gebäude aufgrund seines Alters (Baujahr 1880) und des schlechten Zustands seit langer Zeit keine Renovierungen erfahren hat. Diese Umstände könnten eine erhebliche Herabsetzung des tatsächlichen Werts und damit des Grundsteuerwerts rechtfertigen.
  5. Kostenentscheidung: Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt das Finanzamt gemäß § 135 Abs. 2 FGO.

Dieser Beschluss verdeutlicht die Möglichkeit der gerichtlichen Überprüfung und Anpassung festgestellter Grundsteuerwerte im Einzelfall, um verfassungswidrige Überbewertungen zu vermeiden.