Einkünftekorrektur bei Kapitalüberlassungen zwischen verbundenen Unternehmen – BFH-Urteil vom 10. April 2024, I R 67/23

ECLI:DE:BFH:2024:U.100424.IR67.23.0

BFH I. Senat

AStG § 1 Abs 1, KStG § 8b Abs 3 S 3, FGO § 90 Abs 2, AEUV Art 49, AEUV Art 267, FGO § 121 S 1

vorgehend Hessisches Finanzgericht , 29. August 2018, Az: 2 K 1744/16

Leitsätze

1. NV: Zur Abgrenzung zwischen betrieblich veranlassten Darlehen und durch das Gesellschaftsverhältnis veranlassten Einlagen bei Kapitalüberlassungen zwischen verbundenen Unternehmen.

2. NV: Wenn die Beteiligten ‑‑nachdem das Bundesverfassungsgericht das im Einvernehmen mit den Beteiligten im schriftlichen Verfahren ergangene Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) aufgehoben und die Sache an den BFH zurückverwiesen hat‑‑ nicht ausdrücklich geltend machen, dass ihre vormaligen Verzichtserklärungen keine Wirkung mehr haben sollen, wirken sie fort.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Hessischen Finanzgerichts vom 29.08.2018 – 2 K 1744/16 aufgehoben.

Die Sache wird an das Hessische Finanzgericht zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens übertragen.

Tatbestand

I.

  1. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine inländische OHG, an der ausschließlich juristische Personen beteiligt waren. Sie war in den Jahren 2002 und 2004 (Streitjahre) Alleingesellschafterin der … S.R.L. (A), einer italienischen Kapitalgesellschaft. Gegenüber dieser Gesellschaft war 2002 eine nicht besicherte Forderung aus einem Kontokorrentkredit in Höhe von … € offen. Die Forderung wurde mit 4,57 % (1. Halbjahr 2002), 4,47 % (2. Halbjahr 2002), 3,14 % (1. Halbjahr 2004) beziehungsweise 3,13 % (2. Halbjahr 2004) verzinst.
  2. Zum 31.12.2002 verzichtete die Klägerin gegen Besserungsschein auf einen Teil der Forderung (… €). In der Folge stieg die Forderung bis Ende 2004 wieder auf … € an. Die Klägerin verzichtete sodann erneut gegen Besserungsschein auf einen Teil der Forderung (… €). Die Beträge entsprachen dem nach Ansicht der Vertragsbeteiligten jeweils wertlosen Teil der Forderung. Diese Teilbeträge wurden zwar in der jeweiligen Bilanz der Klägerin gewinnmindernd ausgebucht, jedoch hat der Beklagte und Revisionskläger (Finanzamt ‑‑FA‑‑) die Gewinnminderungen nach § 1 Abs. 1 des Außensteuergesetzes in der für die Streitjahre geltenden Fassung (AStG) durch eine außerbilanzielle Hinzurechnung bei der Einkommensermittlung neutralisiert.
  3. Die Klage hatte Erfolg (Urteil des Hessischen Finanzgerichts ‑‑FG‑‑ vom 29.08.2018 – 2 K 1744/16, Entscheidungen der Finanzgerichte 2019, 1363).
  4. Der Senat hat auf die Revision des FA mit Urteil vom 14.08.2019 – I R 34/18 (BFH/NV 2020, 757) die FG-Entscheidung aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die Klägerin hat gegen jenes Urteil erfolgreich Verfassungsbeschwerde eingelegt. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat das Senatsurteil aufgehoben und die Sache an den Bundesfinanzhof (BFH) zurückverwiesen (BVerfG-Beschluss vom 08.11.2023 – 2 BvR 1079/20, Internationales Steuerrecht 2024, 139). Die Beteiligten haben sich zur Sach- und Rechtslage (nunmehr unter dem Aktenzeichen I R 67/23) erneut geäußert.
  5. Das FA beantragt (sinngemäß), das angefochtene FG-Urteil aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen.
  6. Die Klägerin beantragt (sinngemäß), die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

  1. Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und die Sache ist an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑).
  2. 1. Das Fehlen ausreichender Feststellungen stellt einen materiellen Mangel des Urteils dar, der auch ohne Rüge zur Aufhebung der Vorentscheidung führt (z.B. BFH-Urteile vom 04.10.2006 – VIII R 54/04, BFH/NV 2007, 190; vom 27.04.1999 – III R 21/96, BFHE 189, 255, BStBl II 1999, 670). Im Streitfall hat es die Vorinstanz unterlassen, ausreichende Feststellungen zur steuerrechtlichen Qualifizierung der streitgegenständlichen Kapitalüberlassungen als Einlagen oder Darlehen zu treffen.
  3. a) Bei der Beurteilung von Kapitalüberlassungen zwischen verbundenen Unternehmen muss unterschieden werden, ob das zugeführte Kapital dauerhaft in das Vermögen der empfangenden Gesellschaft übergehen sollte und eine Rückzahlung nicht beabsichtigt war (BFH-Urteil vom 06.11.2003 – IV R 10/01, BFHE 204, 438, BStBl II 2004, 416) oder ob die Beteiligten ‑‑im Sinne einer ernstlichen Abrede‑‑ von der Überlassung von Kapital auf Zeit ausgegangen sind und davon ausgehen konnten, dass der Darlehensvertrag durchgeführt, insbesondere also das Darlehen zurückgezahlt wird. Für diese Abgrenzung sind nur objektiv überprüfbare Umstände heranzuziehen; im Übrigen ist von den fremdüblichen Voraussetzungen einer Darlehensgewährung auszugehen (vgl. zum Ganzen Senatsurteile vom 17.12.2014 – I R 23/13, BFHE 248, 170, BStBl II 2016, 261; vom 13.01.2022 – I R 15/21, BFHE 276, 1, BStBl II 2023, 675).
  4. b) Das FA hat zu Recht gerügt, dass sich die Vorinstanz, die von einer Darlehenshingabe ausgegangen ist, zu dieser entscheidungserheblichen Abgrenzungsfrage weder rechtlich geäußert noch hierzu ausreichende tatsächliche Feststellungen getroffen hat (s. bereits II.1. [Rz 8] der Gründe des aufgehobenen Urteils vom 14.08.2019 – I R 34/18, BFH/NV 2020, 757); daher fehlt auch die gebotene, allein dem Tatgericht obliegende Gesamtwürdigung der festgestellten Einzeltatsachen.
  5. c) Entgegen der Auffassung der Klägerin ist der Senat an die Würdigung des FG, dass es sich um eigenkapitalersetzende Darlehen handele, nicht gemäß § 118 Abs. 2 FGO gebunden. Denn eine solche Bindung setzt voraus, dass das Tatgericht die für die Würdigung der Sachumstände als Darlehenshingabe maßgeblichen Einzeltatsachen festgestellt hat, woran es vorliegend jedoch fehlt.
  6. 2. Die Sache ist nicht spruchreif.
  7. a) Die Abgrenzung zwischen Darlehen und Einlage kann im Streitfall nicht dahinstehen.
  8. aa) Im Falle einer Einlage hätten sich insoweit die Anschaffungskosten der Klägerin auf die Beteiligung an der A erhöht. Eine gewinnmindernde Teilwertabschreibung auf diese Beteiligung wäre gemäß § 8b Abs. 3 Satz 3 des Körperschaftsteuergesetzes in der für die Streitjahre geltenden Fassung ausgeschlossen; die Klage wäre bereits aus diesem Grunde abzuweisen gewesen.
  9. bb) Im Falle der Ausbuchung einer betrieblich veranlassten Darlehensforderung hängt die Steuerwirksamkeit der Teilwertabschreibung indes davon ab, ob die Voraussetzungen für eine Einkünftekorrektur gemäß § 1 Abs. 1 AStG erfüllt sind und eine nach nationalrechtlichen Maßstäben durchzuführende Einkünftekorrektur mit den Vorgaben des Unionsrechts vereinbar ist (vgl. dazu im Einzelnen Senatsurteil vom 13.01.2022 – I R 15/21, BFHE 276, 1, BStBl II 2023, 675, m.w.N.). Da es aber bereits in tatsächlicher Hinsicht ungewiss ist (s. zu II.1. der Gründe), ob § 1 AStG im Streitfall mit Blick auf eine Darlehenshingabe überhaupt zur Anwendung kommen kann, sieht der Senat von der Prüfung ab, ob das Unionsrecht einer Einkünftekorrektur nach § 1 Abs. 1 AStG entgegenstehen könnte. Auf dieser Grundlage ist auch von einer Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union in diesem Streitfall abzusehen (s. allgemein zur Vorlageverpflichtung im Zusammenhang mit § 1 AStG BVerfG-Beschluss vom 04.03.2021 – 2 BvR 1161/19, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2021, 504).
  10. b) Im zweiten Rechtsgang wird das FG in rechtlicher wie tatsächlicher Hinsicht zu prüfen haben, ob die Kapitalüberlassungen als Darlehen zu qualifizieren sind. Das FA hat sowohl im Klage- als auch im Revisionsverfahren objektiv überprüfbare Gesichtspunkte angeführt, die gegen eine Darlehenshingabe sprechen.
  11. c) Das FG wird auch dem Vorbringen des FA nachzugehen haben, wonach vereinbart gewesen sei, A solle (nur) „eventuelle Liquiditätsüberschüsse“ zurücktransferieren. Eine solche Abrede könnte Anlass zu einer Prüfung geben, ob der Passivierung einer etwaigen Rückzahlungsverpflichtung aus dem (behaupteten) Darlehensverhältnis bei A der Rechtsgedanke des § 5 Abs. 2a des Einkommensteuergesetzes in der für die Streitjahre geltenden Fassung entgegensteht, was wiederum auf die Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Besteuerung der Klägerin ausstrahlen könnte (s. BFH-Urteil vom 10.11.2005 – IV R 13/04, BFHE 211, 294, BStBl II 2006, 618, dort Rz 31).
  12. 3. Die Übertragung der Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.
  13. 4. Der Senat entscheidet durch Urteil ohne mündliche Verhandlung, da beide Beteiligten im Revisionsverfahren auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet haben (§ 90 Abs. 2 i.V.m. § 121 Satz 1 FGO). Zwar wurden die Verzichtserklärungen vor Ergehen des aufgehobenen Senatsurteils vom 14.08.2019 – I R 34/18 (BFH/NV 2020, 757) abgegeben. Durch dieses Urteil und die anschließende Aufhebung ist es aber nicht zu einem sogenannten Verbrauch der Verzichtserklärungen gekommen; die Beteiligten haben auch nicht erklärt, dass ihre Verzichtserklärungen nicht mehr gelten sollten beziehungsweise wegen einer wesentlichen Änderung der Prozesslage zu widerrufen seien.
  14. Die Finanzgerichtsordnung sieht einen Verbrauch der Verzichtserklärung nicht ausdrücklich vor (z.B. Brandis in Tipke/Kruse, § 90 FGO Rz 11; Schallmoser in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 90 FGO Rz 64; Wendl in Gosch, FGO § 90 Rz 40). Soweit in der bisherigen Rechtsprechung zuweilen von einem Verbrauch ausgegangen wurde, kann dahinstehen, ob der Senat dem folgen könnte. Denn diese Rechtsprechung betrifft andere prozessuale Konstellationen (zum Beispiel ‑‑jeweils nach erklärtem Verzicht‑‑ die Durchführung einer mündlichen Verhandlung oder die Anberaumung eines Erörterungstermins unter Anordnung des persönlichen Erscheinens, den Erlass einer Aufklärungsanordnung, die Erteilung rechtlicher Hinweise oder eine erneute Anfrage hinsichtlich eines Verzichts) und beruht im Wesentlichen auf der Überlegung, dass eine Verzichtserklärung dadurch wirkungslos wird, dass das Gericht selbst den Beteiligten gegenüber zum Ausdruck bringt, dass es eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung allein durch den früher erklärten Verzicht nicht mehr für hinreichend legitimiert ansieht (vgl. BFH-Urteil vom 31.08.2010 – VIII R 36/08, BFHE 231, 1, BStBl II 2011, 126; BFH-Beschlüsse vom 10.03.2011 – VI B 147/10, BFHE 232, 322, BStBl II 2011, 556; vom 04.08.2016 – X B 145/15, BFH/NV 2016, 1744; je m.w.N.). Eine vergleichbare Situation liegt im Streitfall aber nicht vor. Vielmehr ist das Revisionsverfahren nach Aufhebung des Senatsurteils vom 14.08.2019 – I R 34/18 (BFH/NV 2020, 757) und Zurückverweisung der Sache durch das BVerfG wieder in dem prozessualen Stand, in dem es vor Erlass des aufgehobenen Senatsurteils war. Es ist so zu verfahren, als habe es sowohl das „erste“ Senatsurteil als auch die Aufhebung des Urteils und die Zurückverweisung nicht gegeben (vgl. allgemein BFH-Urteile vom 14.08.1980 – V R 142/75, BFHE 131, 440, BStBl II 1981, 71; vom 17.12.1996 – IX R 47/95, BFHE 182, 178, BStBl II 1997, 348; vom 18.02.1997 – IX R 63/95, BFHE 182, 287, BStBl II 1997, 409 – jeweils zur im Grundsatz vergleichbaren Situation der Einheitlichkeit des erstinstanzlichen Klageverfahrens nach Zurückverweisung gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO). Dann gibt es aber keinen sachlichen Grund, die Wirksamkeit der Verzichtserklärungen in Zweifel zu ziehen und es kann insbesondere allein der eingetretene Zeitablauf nicht zu einem Verbrauch führen.