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II. Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das FG hat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass die Klägerin keinen Anspruch auf vollständigen Erlass der durch die Bescheide vom 12. November 1999 festgesetzten Nachzahlungszinsen hat. Sie hat auch keinen Anspruch auf Neubescheidung ihres Erlassantrags. |
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1. Gemäß § 227 AO können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Zu diesen Ansprüchen gehören auch die Ansprüche auf steuerliche Nebenleistungen wie die hier angegriffenen Zinsfestsetzungen (§ 37 Abs. 1 i.V.m. § 3 Abs. 3 –jetzt § 3 Abs. 4– AO). |
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2. Die Entscheidung über eine Billigkeitsmaßnahme ist eine Ermessensentscheidung, die gerichtlich nur in den durch § 102 FGO gezogenen Grenzen nachprüfbar ist. Die Nachprüfung einer Erlassablehnung ist deshalb darauf beschränkt, ob die Behörde bei ihrer Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem ihr eingeräumten Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. |
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3. Sachliche Billigkeitsgründe i.S. des § 227 AO, die hier allein in Betracht kommen und auf die die Klägerin ihren Antrag auf vollständigen Erlass bzw. auf Neubescheidung ihres Erlassantrags stützt, sind nicht gegeben. |
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a) Unbilligkeit aus sachlichen Gründen i.S. des § 227 AO kann gegeben sein, wenn die Geltendmachung eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis im Einzelfall zwar dem Wortlaut einer Vorschrift entspricht, aber nach dem Zweck des zugrunde liegenden Gesetzes nicht (mehr) zu rechtfertigen ist und dessen Wertungen zuwiderläuft. Umstände, die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des gesetzlichen Tatbestandes einer Vorschrift bewusst in Kauf genommen hat, stehen jedoch dem Erlass entgegen (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteil vom 16. August 2001 V R 72/00, BFH/NV 2002, 545, unter II.2.a, m.w.N.). |
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Im Streitfall widersprechen die von der Klägerin geltend gemachten Umstände nicht den der Verzinsungsregelung des § 233a AO zugrunde liegenden Wertungen. |
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b) Führt die Festsetzung von Umsatzsteuer zu einer Steuernachforderung oder Steuererstattung, ist diese nach § 233a Abs. 1 Satz 1 AO in den in den Streitjahren geltenden Fassungen zu verzinsen. Der Zinslauf beginnt 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist (§ 233a Abs. 2 Satz 1 AO). |
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aa) Zweck des § 233a AO ist es, einen Ausgleich dafür zu schaffen, dass die Steuern bei den einzelnen Steuerpflichtigen zu unterschiedlichen Zeitpunkten festgesetzt und fällig werden (so die Gesetzesbegründung in BTDrucks 11/2157, S. 194; vgl. ferner z.B. BFH-Urteil vom 20. Januar 1997 V R 28/95, BFHE 183, 353, BStBl II 1997, 716). |
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bb) Nach der Rechtsprechung des Senats ist die Festsetzung von Nachzahlungszinsen gemäß § 233a AO grundsätzlich rechtmäßig, wenn der Schuldner der Steuernachforderung Liquiditätsvorteile gehabt hat, weil er von der Zahlung der geschuldeten Steuer –wegen unzutreffender Steuerfestsetzung– vorerst "freigestellt" war (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2002, 545, unter II.2.b, m.w.N.; BFH-Beschluss vom 28. Oktober 2005 V B 196/04, BFH/NV 2006, 245). |
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Das gilt auch bei einer Steuer, die wegen unzutreffenden Steuerausweises in einer Rechnung gemäß § 14 Abs. 2 UStG entstanden ist –wie im Streitfall– (vgl. bereits BFH-Beschluss vom 6. August 1996 V B 51/95, BFH/NV 1997, 165). Das Gesetz enthält insoweit in § 14 Abs. 2 Satz 2 UStG i.V.m. § 17 Abs. 1 UStG eine eindeutige Regelung. Danach besteht die aufgrund des unrichtigen Steuerausweises entstandene Umsatzsteuer bis zur –ohne Rückwirkung eintretenden– Berichtigung des Steuerbetrags. Denn die Berichtigung ist nach § 17 Abs. 1 Satz 3 UStG für den Besteuerungszeitraum vorzunehmen, in dem die Änderung der Bemessungsgrundlage eingetreten ist. Für die Rechnungsberichtigung, auf die § 17 Abs. 1 Satz 3 UStG gemäß § 14 Abs. 2 Satz 2 UStG entsprechend anzuwenden ist, bedeutet dies, dass erst im Zeitpunkt der Rechnungsberichtigung der nach § 14 Abs. 2 UStG geschuldete Steuerbetrag zu berichtigen war (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2002, 545, unter II.2.c aa, m.w.N.). |
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Eine rückwirkende Berichtigung unzutreffend ausgewiesener Steuer widerspräche dem Regelungszweck des § 14 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 17 Abs. 1 UStG. Für eine sachliche Unbilligkeit der Verzinsung von derartigen Umsatzsteuernachforderungen ist deshalb kein Anhaltspunkt ersichtlich (vgl. BFH-Urteil vom 19. November 2002 V R 66/00, BFH/NV 2003, 591; BFH-Beschluss vom 6. April 2005 V B 60/04, BFH/NV 2005, 1976, jeweils m.w.N.). |
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cc) Im Streitfall ist der Klägerin durch die Nichtentrichtung der von ihr als Organträgerin der A-GmbH und der B-GmbH nach § 14 Abs. 2 UStG in den Streitjahren 1994 bis 1996 in Höhe von insgesamt 5 318 191 DM geschuldeten Steuer ein Liquiditätsvorteil entstanden. |
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Davon ist das FA bei der Ablehnung eines weitergehenden Erlasses in den angefochtenen Bescheiden ebenfalls ausgegangen, wie sich insbesondere aus der Einspruchsentscheidung vom 18. Juli 2001 ergibt, in der es u.a. heißt, derjenige, dessen Steuer später festgesetzt werde, habe gegenüber demjenigen, dessen Steuer bereits frühzeitig festgesetzt werde, einen Zeitvorteil, der die Gleichmäßigkeit der Besteuerung in Frage stelle; hier schaffe die Vollverzinsung einen Ausgleich. |
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Es ist deshalb letztlich ohne Belang, dass das FA in den angefochtenen Bescheiden einen vollständigen Erlass aus Billigkeitsgründen im Ergebnis mit dem –unerheblichen und unzutreffenden– Hinweis abgelehnt hat, durch die Erstattungen der Teilbeträge an die L-GmbH sei bei dieser ein "tatsächlicher Zinsvorteil" entstanden, den die Klägerin sich zurechnen lassen müsse. |
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dd) Da –wie dargelegt– die Klägerin die zu Unrecht ausgewiesene Umsatzsteuer nach § 14 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 17 Abs. 1 UStG bis zur Berichtigung der Rechnungen schuldete, bestand der Liquiditätsvorteil der Klägerin bis zu einer derartigen Rechnungsberichtigung, längstens jedoch bis zur Zahlung der geschuldeten Steuer durch die Klägerin durch Verrechnung am 20. Dezember 1999. Dies steht ihrem Revisionsbegehren, über die bereits vom FA erlassenen 805 963 DM weitere Nachzahlungszinsen in Höhe von 86 444 DM zu erlassen bzw. das FA zur Neubescheidung zu verpflichten, entgegen, ohne dass es auf eine genaue Festlegung ankäme (vgl. § 96 Abs. 1 Satz 2, § 121 Satz 1 FGO). |
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Dass die A-GmbH und die B-GmBH die von ihnen in den Streitjahren 1994 bis 1996 erteilten Rechnungen tatsächlich berichtigt haben, hat das FG nicht feststellen können. |
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Selbst wenn man aber entsprechend der Behauptung der Klägerin davon ausgeht, dass die A-GmbH und die B-GmbH ihre Rechnungen berichtigt haben, geschah dies (erst) im Januar 1999. Diesen Zeitpunkt hat die Klägerin in ihrer berichtigten Umsatzsteuer-Voranmeldung für Januar 1999 vom 17. Dezember 1999 genannt. Er ist auch in den Erläuterungen zu den Bescheiden vom 12. November 1999 genannt. Danach hätte der Liquiditätsvorteil der Klägerin jedenfalls bis Januar 1999 bestanden. |
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4. Die Klägerin beruft sich ohne Erfolg auf das BMF-Schreiben in BStBl I 1996, 370 (vgl. nunmehr Nr. 70.2.3 AEAO zu § 233a AO, BMF-Schreiben in BStBl I 2008, 26, 181), wonach Nachzahlungszinsen aus sachlichen Billigkeitsgründen "zu erlassen sind", wenn ein Unternehmer eine unrichtige Endrechnung, die eine Steuerschuld nach § 14 Abs. 2 UStG auslöst, in einem auf das Kalenderjahr der ursprünglichen Rechnungserteilung folgenden Kalenderjahr nach Aufdeckung seines Fehlers sogleich berichtigt hat. |
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a) Bei dieser "Billigkeitsmaßnahme" (vgl. die Überschrift im BMF-Schreiben in BStBl I 1996, 370) handelt es sich um eine ermessenslenkende Verwaltungsvorschrift (vgl. für eine Verwaltungsvorschrift zum Erlass von Säumniszuschlägen: BFH- Beschluss vom 11. März 2003 VII B 208/02, BFH/NV 2003, 816, unter II.1.a). Denn bei der Frage, ob die Einziehung der Steuer nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre, bestimmt der Maßstab der Billigkeit Inhalt und Grenzen des pflichtgemäßen Ermessens (vgl. zu § 131 Abs. 1 Satz 1 der Reichsabgabenordnung: Beschluss des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Oktober 1971 GmS-OGB 3/70, BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603). |
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b) Derartige ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften können unter dem Gesichtspunkt der Selbstbindung der Verwaltung und damit der Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes (Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz –GG–) bei der gerichtlichen Überprüfung von Ermessensentscheidungen von Bedeutung sein (vgl. BFH- Beschluss in BFH/NV 2003, 816, unter II.1.a, m.w.N.). |
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Das gilt aber nur, wenn sich die in ihnen getroffenen Regelungen innerhalb der Grenzen halten, die das GG und die Gesetze der Ausübung des Ermessens setzen, d.h. bei einer Billigkeitsrichtlinie –wie hier– muss die getroffene Regelung Recht und Billigkeit entsprechen (vgl. BFH-Urteil vom 25. November 1980 VII R 17/78, BFHE 132, 159, BStBl II 1981, 204, unter C.II.3.a) |
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Dass ist –wie unter II. 3. b bb dargelegt– nicht der Fall. Denn eine rückwirkende Berichtigung unzutreffend ausgewiesener Steuer, wie sie die Billigkeitsregelung in BStBl I 1996, 370 im Ergebnis anordnet, widerspricht dem Regelungszweck des § 14 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 17 Abs. 1 UStG. Für eine sachliche Unbilligkeit der Verzinsung von derartigen Umsatzsteuernachforderungen ist deshalb kein Anhaltspunkt ersichtlich. |
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Überdies verstößt die Billigkeitsregelung in BStBl I 1996, 370 gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Denn es gibt keinen Grund dafür, einen Erlass von Nachzahlungszinsen nur für den Fall unrichtiger Endrechnungen (vgl. § 14 Abs. 1 Satz 6 UStG) vorzusehen und nicht für sonstige unrichtige Rechnungen i.S. von § 14 Abs. 2 UStG. |
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Ein aus Art. 3 Abs. 1 GG herzuleitender Anspruch gegenüber einer Behörde auf Fortführung einer gesetzwidrigen Verwaltungspraxis besteht nicht (vgl. BFH-Beschluss vom 3. Februar 2005 I B 152/04, BFH/NV 2005, 1214, m.w.N.). |
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