Finanzgericht Köln, 9 K 167/15
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
1Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Beklagte den Kläger zu Recht gemäß § 71 AO als Haftungsschuldner für Umsatzsteuerschulden der Firma A GmbH mit Sitz in B in Anspruch nehmen durfte.
2Im Rahmen des gegen den Kläger geführten strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens war er ... in Untersuchungshaft. Während seiner Untersuchungshaft und auch danach hat er umfangreich ausgesagt; wegen Einzelheiten wird in vollem Umfang Bezug genommen auf die entsprechenden Protokolle (im Sonderhefter „Aussagen im Gerichts- und Strafverfahren“).
3Mit Urteil des LG C – Große Strafkammer – vom ....2010 (... Kls ... Js ...) wurde der Kläger wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung verurteilt. Das LG C stellte in seinem Urteil fest, dass der Kläger für zahlreiche Firmen der Herren D und N als Steuerberater mandatiert gewesen war, obwohl er als unzuverlässig galt, jedoch dafür bekannt war, keine unangenehmen Fragen zu stellen (Seite 5 des Strafurteils). Die Herren D und N betrieben in wechselnder Beteiligung über Jahre mit verschiedenen Firmen Handel mit Waren. Um die Waren auf dem Markt zu günstigen Konditionen anbieten zu können, bauten sie ein Netz an Firmen für ein sog. Umsatzsteuerkarussell auf. Im Jahr 2007 erwarben sie dazu – durch Vermittlung des Klägers – die Firma W GmbH, die als sog. Buffer diente. Zudem konnten sie faktisch die Firma A GmbH beeinflussen, die als Missing Trader fungierte. Nach den Feststellungen des LG (Seite 4f. des Strafurteils) wurden Waren von einem Initiator bei den Haupttätern zum Ankauf nachgefragt. Diese kauften sodann über eine ihrer Firmen im EU-Ausland umsatzsteuerfrei im Rahmen eines innergemeinschaftlichen Erwerbs entsprechende Ware. Dieser Erwerb wurde jedoch nicht dem Lieferweg entsprechend abgerechnet. Vielmehr wurde nach außen hin zum Schein der Preis gebrochen, indem die Firma (hier: Firma A GmbH) den innergemeinschaftlichen Erwerb weder anmeldete noch versteuerte, ihrerseits aber eine Ausgangsrechnung über den angeblichen Weiterverkauf der Ware an den Buffer (hier: W GmbH) ausstellte, in der regelmäßig ein Nettopreis unterhalb des Einkaufspreises ausgewiesen wurde zzgl. der hierauf entfallenden Umsatzsteuer. Die in diesen Rechnungen ausgewiesene Umsatzsteuer wurde ebenfalls nicht angemeldet. Der “Buffer“, der nach außen hin den Anschein einer ordnungsgemäß arbeitenden Firma bot, machte gleichwohl die in der Rechnung ausgewiesene Umsatzsteuer als Vorsteuer geltend. Seine Aufgabe war es, zum Schutz der weiteren Abnehmer in der Handelskette vor Entdeckung den Einkaufsweg zu verschleiern. Sodann wurde die Ware jeweils unter Ausweis der Umsatzsteuer an den Initiator und von dort an weitere Abnehmer veräußert, so dass es den Haupttätern möglich war, die Waren am Markt unterhalb der regulären Preise anzubieten und höhere Gewinnmargen zu erzielen. Regelmäßig machten die Missing Trader (hier: Firma A GmbH) schon kurz nach ihrer Gründung erhebliche Umsätze, um bereits nach wenigen Monaten wieder im Rahmen einer Insolvenz oder einer „Firmenbestattung“ vom Markt zu verschwinden, insbesondere wenn Steuerprüfungen anstanden.
4Der Kläger erhielt für beide Firmen das Mandat, die Buchführung zu erstellen und die Umsatzsteuervoranmeldungen abzugeben. Die im Dezember 2006 gegründete Firma A GmbH hatte erst durch die Gesellschafterversammlung vom 07.08.2007 ihren Sitz von C nach B verlegt und den Unternehmensgegenstand um den ... erweitert, ferner wurde im März 2008 ein neuer Geschäftsführer bestellt. Sie wurde am ....07.2011 wegen Vermögenslosigkeit von Amts wegen im Handelsregister gelöscht. In den Umsatzsteuervoranmeldungen der W GmbH wurden im Jahr 2008 erhebliche Vorsteuerbeträge aus Rechnungen der A GmbH geltend gemacht. Hingegen erhielt der Kläger von der A GmbH nur unregelmäßig unvollständige Buchführungsunterlagen, so dass er für diese zu den gesetzlichen Terminen keine Umsatzsteuervoranmeldungen abgeben konnte, obwohl er von den erheblichen Umsätzen aus den Ausgangsrechnungen Kenntnis hatte. Dem Kläger war danach klar – so das Landgericht C –, dass insoweit Umsatzsteuern verkürzt wurden (Seite 6/7 des Strafurteils). Das LG C stellte auf dieser Basis Steuerverkürzungen in folgender Höhe fest (Seite 7 des Strafurteils):
5März 2008 |
€ |
April 2008 |
€ |
Mai 2008 |
€ |
Juni 2008 |
€ |
Juli 2008 |
€ |
August 2008 |
€ |
September 2008 |
€ |
Oktober 2008 |
€ |
November 2008 |
€ |
Dezember 2008 |
€ |
€ |
Sämtliche Feststellungen zum Tathergang beruhen ausweislich des Urteils (Seite 7 des Strafurteils) u.a. auf dem Geständnis des Klägers; dieses wurde zudem durch Zeugenaussagen bestätigt. Bei der Begründung der Strafzumessung führt das LG C ausdrücklich aus, dass zu Gunsten des Klägers zu berücksichtigen sei, dass er „durch seine Mithaftung für die entstandenen Steuerschäden … in Zukunft erheblich finanziell belastet sein“ wird (Seite 9 des Strafurteils).
7Nach einer Umsatzsteuersonderprüfung setzte der Beklagte gegenüber der A GmbH für die Monate Januar bis Juni 2008 und später für Juli und August 2008 im Wege der Schätzung nach § 162 AO Umsatzsteuervorauszahlungen fest. Mit Datum vom 27.07.2010 erließ er auf der Grundlage des Berichts des Finanzamtes für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung T vom 18.02.2010 einen Umsatzsteuerjahresbescheid für 2008, der die Umsatzsteuer auf ... € festsetzte.
8Mit Datum vom 08.07.2011 erließ der Beklagte gegen den Kläger erstmalig einen Haftungsbescheid gemäß § 191 AO i.V.m. §§ 71, 370 AO, § 27 StGB und nahm ihn für rückständige Umsatzsteuern und Nebenleistungen der Firma A GmbH (HRB ... des Amtsgerichts B) mit Sitz in B in Höhe von insgesamt ... € in Anspruch. Im Einzelnen wird auf diesen Haftungsbescheid verwiesen. Während des hiergegen geführten Einspruchsverfahrens erließ der Beklagte unter dem 10.02.2014 einen nach § 131 Abs. 1 AO geänderten Haftungsbescheid und reduzierte die Haftungssumme wie folgt auf ... €:
9März 2008, Schätzungsbescheid v. 27.08.2008 |
€ |
April 2008, Schätzungsbescheid v. 27.08.2008 |
€ |
Mai 2008, Schätzungsbescheid v. 27.08.2008 |
€ |
Juni 2008, Schätzungsbescheid v. 27.08.2008 |
€ |
Juli 2008, Schätzungsbescheid v. 13.10.2008 |
€ |
August 2008, Schätzungsbescheid v. 13.10.2008 |
€ |
Jahresumsatzsteuer 2008, Schätzungsbescheid v. 27.07.2010 |
€ |
€ |
Die Umsatzsteuer-Jahresschuld ergab sich danach daraus, dass sich herausgestellt hatte, dass die zuvor gegenüber der A GmbH geschätzten Beträge deutlich zu niedrig gewesen seien. Daher seien die in den Monaten März bis Dezember 2008 hinterzogenen Umsatzsteuerbeträge erstmalig in einem Jahresbescheid vom 10.05.2010 festgesetzt worden.
11Abzüglich einer Zahlung durch einen anderen Haftungsschuldner wurde der Kläger unter dem Vorbehalt des Widerrufs nach § 120 Abs. 2 Nr. 3 AO zur Zahlung des Betrags von ... € aufgefordert. Die ursprüngliche Fälligkeit zum 11.08.2011 galt für den geänderten Haftungsbescheid fort. Dabei folgte der Beklagte hinsichtlich der Höhe der hinterzogenen Umsatzsteuern den festgestellten Beträgen aus dem Urteil des Landgerichts C gegen den Haupttäter D; in dessen Strafverfahren stellte das LG C folgende für die A GmbH hinterzogenen Beträge fest:
12März 2008 |
€ |
April 2008 |
€ |
Mai 2008 |
€ |
Juni 2008 |
€ |
Juli 2008 |
€ |
August 2008 |
€ |
September 2008 |
€ |
Oktober 2008 |
€ |
November 2008 |
€ |
Dezember 2008 |
€ |
€ |
Am 09.01.2015 erließ der Beklagte sodann die Einspruchsentscheidung, mit der er den Einspruch des Klägers als unbegründet zurückwies.
14Gegen die Einspruchsentscheidung hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben. Diese hat er zunächst unter Hinweis auf sein früheres außergerichtliches Vorbringen damit begründet, dass das Strafurteil auf einer „Absprache“ beruht habe. Er habe immer dargestellt, dass er keine vollständigen Buchführungsunterlagen erhalten habe, die ihn in die Lage versetzt hätten, eine ordnungsgemäße Buchführung nebst Voranmeldungen zu erstellen.
15Er – der Kläger – sei nicht persönlich von der A GmbH mandatiert gewesen. Er sei seinerzeit freier Mitarbeiter bzw. Angestellter bei einer Steuerberatungsgesellschaft gewesen, so dass er mangels rechtlicher Kompetenz gar nicht zuständig für eine entsprechende Mandatskündigung gewesen sei. Eine Einwirkung auf Vorgesetzte sei Anfang 2009 nicht möglich gewesen, weil ihm seitens der Steuerberatungsgesellschaft G gekündigt worden und er am ....2009 verhaftet worden sei.
16Im Übrigen lägen die Voraussetzungen des § 71 AO nicht vor. Die strafrechtliche Würdigung durch das LG C sei unzutreffend, außerdem habe er nicht vorsätzlich gehandelt. Ferner sei die Haftungshöhe rechtswidrig festgestellt, weil allenfalls eine Steuerhinterziehung auf Zeit bis zur Jahreserklärung denkbar sei, so dass dem Fiskus nur ein Zinsschaden entstanden sei. Zudem seien die Grundsätze zur anteiligen Tilgung zu beachten.
17§ 71 AO greife bereits deshalb nicht ein, weil bei rechtlich zutreffender Würdigung keine Steuerstraftat vorliege. Er – der Kläger – habe sich nicht wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung strafbar gemacht. Das Urteil des LG C werte den Sachverhalt strafrechtlich unzutreffend. Hinsichtlich der Firma Z sei er – der Kläger – weder als Täter noch als Gehilfe anzusehen. Es fehle bei zutreffender strafrechtlicher Würdigung bereits an einer Haupttat. Gehe man von einem Unterlassungsdelikt aus, bestehe keine Garantenpflicht, weil er – der Kläger – als Steuerberater bzw. dessen Mitarbeiter keiner Handlungspflicht aufgrund der speziell steuerrechtlichen Regelung des § 153 AO unterworfen gewesen sei. Das Mandatsverhältnis begründe auch keine allgemeine strafrechtliche Garantenpflicht nach § 13 StGB, weil der Steuerberater kein Garant für die Ordnungsmäßigkeit der Steuererklärungen sei. Ihm obliege keine besondere Schutzpflicht zur Verhinderung von Steuerhinterziehung. Dies gelte für ihn – den Kläger – auch als Gehilfen. Er habe nicht pflichtwidrig gehandelt, weil ihn nicht die steuerliche Erklärungspflicht für Voranmeldungen und die Jahreserklärungen für die damaligen Mandanten treffe. Er sei nur aufgrund einer zivilrechtlichen Mandatierung (welche möglicherweise sogar zivilrechtlich unwirksam gewesen sei) zur Abgabe der Voranmeldungen gegenüber seiner Mandantin verpflichtet gewesen. Der Beklagte gehe unzutreffend davon aus, dass sich bei jeder Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen eine Pflichtenübernahme ergebe. So generell sei diese Ansicht jedoch nicht richtig. Denn es müsse eine gesetzliche und keine ungeschriebene Pflicht zum Handeln bestehen. Daher komme eine Handlungspflicht eines Steuerberaters allenfalls dann in Betracht, wenn er Verfügungsberechtigter gem. § 35 AO sei. Dies sei nicht der Fall gewesen, zumal er – der Kläger – nur Mitarbeiter der G Steuerberatungsgesellschaft (zuvor G) gewesen sei.
18Auch soweit er vom LG C hinsichtlich der A GmbH wegen des Unterlassens der Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen verurteilt worden sei, sei dies unzutreffend. Bei einer strafrechtlichen Subsumtion ergebe sich keine Täterschaft oder Beihilfe durch Unterlassen, wie das LG C sie angenommen habe. Er – der Kläger – sei weder Täter noch Gehilfe einer Hinterziehung durch Unterlassen gewesen, weil aus den o.g. Gründen schon keine Haupttat vorgelegen habe. § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO erfasse aus systematischen Gründen keine Unterlassung, sondern sei als Tätigkeitsdelikt ausgestaltet. Abgesehen davon träfen ihn – den Kläger – auch keine Garantenpflichten, es hätten keine strafrechtlichen Handlungspflichten für ihn bestanden.
19Die insgesamt unzutreffende rechtliche Würdigung des LG C führe dazu, dass dessen Erkenntnisse im vorliegenden Verfahren nicht verwertbar seien. Der Beklagte habe in dem Haftungsbescheid die objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 71 AO nicht schlüssig dargelegt.
20Ferner habe er – der Kläger – im Hinblick auf die Nichtabgabe von Erklärungen ohne Vorsatz gehandelt. Gehilfenvorsatz liege vor, wenn der Gehilfe die Haupttat in ihren wesentlichen Merkmalen kenne und in dem Bewusstsein handele, durch sein Verhalten das Vorhaben des Haupttäters zu fördern. Das Urteil des LG beruhe auf einem Deal, welcher ihm nach der anstrengenden Untersuchungshaft Ruhe und Klarheit verschaffen sollte. Dies sei ihm am praktikabelsten erschienen. Er bestreite, dass für ihn erkennbar gewesen sei, dass die Herren D, N und V beabsichtigt hätten, keine USt‑Voranmeldungen abzugeben. Er – der Kläger – rechne seine Mandanten zum sog. Mandantentyp 2, welcher schleppend mit dem Berater kooperiere, die Unterlagen nur schrittweise übergebe und der Berater daher nur verzögert Erklärungen abgeben könne. Im Einzelfall könne sich eine berufsrechtliche Pflicht zur Mandatsniederlegung ergeben, wenn der Mandant über einen längeren Zeitraum nicht kooperiere und sich hierdurch laufend in unvertretbarem Ausmaß Hinterziehungen auf Zeit ergäben. Dies sei aber eine berufsrechtliche Anforderung und noch keine hinreichende Begründung für den Tatbestand der täterschaftlichen Hinterziehung oder einer Beihilfe hierzu. Ferner folge daraus keine strafrechtlich relevante Erklärungspflicht, zumal die Nichtabgabe von 10 Voranmeldungen eines Jahres nicht zwingend als endgültige Hinterziehung zu werten sei. Eine absichtliche Beihilfe durch Berater zu einer endgültigen Hinterziehung liege beim Mandantentyp 2 eher fern. Davon sei auch im Streitfall in dubio pro reo auszugehen.
21Er – der Kläger – bestreite die Absicht, die Jahressteuer endgültig hinterziehen zu wollen. Auch wenn der objektive Tatbestand hinsichtlich der Hinterziehung betreffend Umsatzsteuervoranmeldungen durch andere Personen (Geschäftsführer) erfüllt gewesen sei, so folge hieraus noch nicht sein – des Klägers – Vorsatz, zu einer solchen Tat Beihilfe zu leisten und insoweit eine endgültige Hinterziehung herbeizuführen. Daher hätten andere Finanzämter zutreffend die Konsequenz gezogen und ihm gegenüber ergangene Haftungsbescheide wegen Rechtswidrigkeit aufgehoben.
22Zu Unrecht habe der Beklagte nicht den Grundsatz der anteiligen Tilgung beachtet. Dieses Prinzip gelte auch bei der Haftung nach § 71 AO. Ebenso wie § 69 AO solle die Haftung nach § 71 AO nicht steuerunehrliches Verhalten sanktionieren, sondern den beim Fiskus eingetretenen Vermögensschaden im Wege des Schadensersatzes ausgleichen. Dann sei es aber ein Wertungswiderspruch, eine Person in Haftung zu nehmen, wenn die Steuer sowieso nicht bezahlt worden wäre oder nicht hätte bezahlt werden können. Der Beklagte weise darauf hin, dass einer Anwendung in dem vorliegenden Umsatzsteuerkarussell entgegenstehe, dass die Haupttäter die Gelder auf Konten in die Schweiz umgeleitet und selbst einen luxuriösen Lebensstill gepflegt hätten. Hierbei handele es sich jedoch um keinen Grund, der dem Zweck des § 71 AO entspreche. Denn würde dieser Aspekt im Rahmen des § 71 AO gegen ihn – den Kläger – gewertet werden, so würde § 71 AO zu einer umfassenden Wiedergutmachungsnorm zugunsten des Fiskus ausgestaltet werden.
23Außerdem komme es entgegen der Ansicht des Beklagten zur Anwendung des Grundsatzes der anteiligen Tilgung nicht darauf an, dass zugleich der Haftungstatbestand des § 69 AO vorliege. Der BFH habe insoweit ausschließlich zum Sonderfall der Steuerhehlerei entschieden, nicht zu anderen Tatbeständen.
24Der Beklagte habe den Haftungsumfang zu weit ausgedehnt. Er – der Kläger – bestreite, subjektiv von der endgültigen Nichterklärung ausgegangen zu sein. Schleppende Abgaben von Voranmeldungen (auch monatelange) seien bei manchen Mandanten (o.g. Typ 2) trotz entgegenstehender Hinweise des jeweiligen Beraters nicht ganz selten. Dies bedeute jedoch nicht automatisch, dass ein Berater dann von einer endgültigen Nichterklärung (im Rahmen der Jahreserklärung) ausgehe, sondern in der Regel von einer „bloßen" Verzögerung, welche einer Hinterziehung auf Zeit gleichkomme. Angesichts des im Verhältnis zum strafrechtlichen Risiko eher geringen wirtschaftlichen Vorteils erscheine fernliegend, dass er – der Kläger – einen Vorsatz hinsichtlich einer endgültigen Hinterziehung (Jahressteuer) gefasst habe. Ihm sei der Gesamtzusammenhang bzw. die dortige Absicht der Hinterziehung nicht bewusst gewesen. Aufgrund dieser mangelnden Plausibilität des Vorsatzvorwurfs greife auch nicht die Rechtsprechung zur Übernahme der Feststellungen eines Strafurteils.
25Allenfalls sei der Höhe nach ein Zinsschaden des Fiskus denkbar. Dieser berechne sich auf der Basis der damaligen Marktrendite. Der EZB-Leitzins habe am 1.1.2009 2,5% betragen, der Zinssatz für Tagesgeld ca. 4%. Wenn man einen Marktzins von schätzweise 3,5% zugrunde lege, ergäbe sich ein Zinsschaden hochgerechnet auf 1 Jahr in Höhe von ... €. Dieser Betrag sei – wenn überhaupt – im Fall einer in dubio pro reo zu unterstellenden bloßen „Verzögerung" maßgeblich.
26Schließlich habe der Beklagte sein Ermessen fehlerhaft ausgeübt, weil er den rechtsstaatlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in Gestalt des Übermaßverbotes nicht berücksichtigt habe. Seine – des Klägers – Haftungsinanspruchnahme für einen Millionenbetrag nehme ihm jede Perspektive, wirtschaftlich wieder in geordnete Bahnen zu kommen und die Vergangenheit, für die er bereits gebüßt habe, zu überwinden. Auch der Höhe nach sei das Ermessen des Beklagten dahingehend begrenzt, dass nur ein Zinsschaden entstanden sei. Dies sei nicht beachtet worden.
27Soweit der Beklagte sich auf den Grundsatz von Treu und Glauben berufe, weil er – der Kläger – im Strafverfahren einer „Verständigung“ zugestimmt habe, so führe das ebenfalls nicht zur Rechtmäßigkeit des angefochtenen Haftungsbescheides. Grundsätzlich lasse die Rechtsordnung widersprüchliches Verhalten zu. Er – der Kläger – habe durch die Verständigung im Strafverfahren keinen steuerrechtlichen Vertrauenstatbestand gesetzt, auf den der Beklagte habe vertrauen können. Das Besteuerungs- und Strafverfahren seien getrennte Verfahren mit unterschiedlichen Beteiligten und Verfahrensprinzipien, die zu unterschiedlichen Beurteilungen führen könnten. Dies folge unmittelbar aus der Doppelgleisigkeit des § 393 Abs. 1 AO. Es handele sich demnach nicht um eine identische Angelegenheit. Dies verkenne das Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern in seinem Urteil v. 19.10.2016 (3 K 86/13). Außerdem habe der Beklagte keine Dispositionen im Vertrauen auf die behauptete Verständigung getroffen.
28Er – der Kläger – habe seinen Standpunkt nicht ohne sachlichen Grund geändert. Es liege im Übrigen mangels der notwendigen Förmlichkeiten keine nach § 257c StPO wirksame Verständigung im strafgerichtlichen Verfahren vor. Der im Haftprüfungstermin versuchte „Deal" mit der Staatsanwaltschaft sei gescheitert. In diesem Termin sei es allein um die Frage gegangen, ob die Untersuchungshaft aufrechterhalten werde oder nicht; dies sei eine besondere Drucksituation. Vor diesem Hintergrund sei seine – des Klägers – protokollierte Erklärung zu sehen, dass er „damit einverstanden [ist], dass mein Verfahren abgetrennt wird und mit einem Strafbefehl lautend auf eine Freiheitsstrafe von 1 Jahr zur Bewährung beendet wird." Daraus könne kein berechtigtes Vertrauen auf Seiten des Beklagten entstanden sein, einen späteren Haftungsbescheid nicht anzufechten.
29Der Kläger beantragt,
30den Haftungsbescheid vom 10.02.2014 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 09.01.2015 aufzuheben.
31Der Beklagte beantragt,
32die Klage abzuweisen.
33Er nimmt im Wesentlichen Bezug auf seine Einspruchsentscheidung.
34Durch den geänderten Haftungsbescheid sei der Haftungsanspruch wegen Umsatz-steuer für März 2008 auf ... € reduziert worden. Soweit die Umsatzsteuern für die Monate September bis Dezember 2008 erst im Rahmen des Umsatzsteuerjahresbescheids für 2008 vom 27.07.2010 festgesetzt worden seien, stehe dies einer Haftungsinanspuchnahme des Klägers für diese Monate nicht entgegen. Der Tatbestand der Steuerhinterziehung sei im Zeitpunkt der nicht fristgerechten Abgabe der Voranmeldungen verwirklicht. Im Umsatzsteuerjahresbescheid sei lediglich die Summe der monatlichen Voranmeldungen aufgegangen.
35Der Kläger habe eine Beihilfe zur Steuerhinterziehung geleistet. Seine berufstypischen Pflichten hätten den Alltagscharakter verloren, weil er als steuerlich vorgebildeter Berater aufgrund diverser Anhaltspunkte (z.B. Warnunterlagen aus Österreich, eigenes Misstrauen bezüglich der Unternehmen E GmbH und Fa. M, die Teil des Umsatzsteuerkarussells waren) hätte erkennen können, dass Umsatzsteuer hinterzogen werden sollte. Insbesondere hätte er sich mit den standesrechtlichen Grundsätzen eines Steuerberaters bei der Entdeckung einer Steuerhinterziehung konform verhalten und die fragwürdigen Mandate niederlegen müssen. Schließlich habe auch das LG C eine Beihilfe zur Steuerhinterziehung des Klägers angenommen.
36Die Haupttäter (Herr D, Herr N und Herr V) hätten noch nachträglich versucht eine Buchführung zu erstellen, weil eine Umsatzsteuersonderprüfung anberaumt worden sei und das Umsatzsteuerkarussell hierdurch aufgedeckt zu werden drohte.
37Der Kläger habe nach den ausdrücklichen Feststellungen des LG C sowohl für die A GmbH als auch für die W GmbH das Mandat gehabt, eine Buchführung zu erstellen und die Umsatzsteuervoranmeldungen abzugeben. Diese Feststellung decke sich mit der Aussage des Klägers im Rahmen seiner Vernehmung, die nach seiner Haftentlassung am ....2009 im Polizeipräsidium C stattgefunden habe. Zur A GmbH habe er ausgesagt, dass ihm das Mandat von Herrn D und Herrn V angetragen worden sei. Da er der Abgabepflicht der Umsatzsteuervoranmeldungen für März bis Dezember 2008 nicht nachgekommen sei, habe er mehrere Steuerhinterziehungshandlungen i.S.d. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO in Tatmehrheit begangen. Ungeachtet dessen könne Gehilfe einer Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO auch derjenige sein, der selbst keine Pflicht zum Handeln habe. Dabei sei in objektiver Hinsicht nicht erforderlich, dass der Gehilfe unmittelbar mit dem Täter zusammenwirke oder diesen beeinflusse. Es genüge vielmehr die Vornahme einer Handlung, die die Haupttat in irgendeiner Weise fördere.
38Der Kläger habe auch vorsätzlich gehandelt. Er sei damals praktizierender Steuerberater gewesen. Aufgrund seiner Mandate für andere Gesellschaften – die Z AG als Buffer und die X AG als Missing Trader – habe er das System erkannt, dass nämlich jedenfalls bei der X AG Steuern für die Zeiträume Oktober 2007 bis Januar 2008 hinterzogen worden seien, indem keine Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben und keine Umsatzsteuern abgeführt worden seien, obwohl Ausgangsrechnungen, die bei der Z AG als Eingangsrechnungen vorhanden gewesen seien, verbucht worden seien. Zeitlich später sei dasselbe Muster bei der W GmbH und der A GmbH zu erkennen gewesen. Auch hier habe der Kläger für beide Unternehmen die Mandate bezüglich der Erstellung der Buchführung und Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldungen erhalten. Durch die Erstellung der Buchführung bei der W GmbH habe der Kläger erkennen können, dass dort die Eingangsrechnungen, die zur Steuerlastminderung oder zu einem Vorsteuerüberhang geführt hätten, bei der A GmbH als Ausgangsrechnungen zu verbuchen gewesen seien. Der Kläger habe also feststellen können, dass aufgrund der Identität der Vorgehensweise Umsatzsteuern hinterzogen worden seien. Er habe die Tatbestandsverwirklichung für möglich gehalten und diese billigend in Kauf genommen. Dies werde insbesondere dadurch deutlich, dass der Kläger die Haupttäter darauf hingewiesen habe, dass es bei der Z AG zu einer „Vorsteuerproblematik" kommen könne, weil die X AG keine Voranmeldungen abgegeben habe. Auch die sog. Warnunterlagen aus Osterreich, zu denen der Haupttäter Herr N beraten werden wollte und tatsächlich dann auch beraten worden sei, bekräftigten den Eventualvorsatz des Klägers. Anstatt die fragwürdigen Mandate zu beenden, habe er sie fortgeführt und habe so die Tatbestandsverwirklichung in eigener Person billigend in Kauf genommen.
39Dabei sei der Kläger nicht nur Mitarbeiter, sondern nach eigener Aussage in der Vernehmung am ....2009 selbst mandatiert gewesen. Bevor er bei der G Steuerberatungsgesellschaft mbH angefangen habe, habe er die fragwürdigen Mandate betreut, weil er seinerzeit als freier Mitarbeiter der G Steuerberatungsgesellschaft tätig gewesen sei. Erst nach einem Streit mit dem damaligen Alleingesellschafter der G sei er gegangen und habe seine Mandate mitgenommen.
40Der bedingte Vorsatz könne nicht dadurch entkräftet werden, dass der Kläger nach den ausbleibenden Unterlagen gefragt habe und es deshalb nicht in seiner Macht gestanden habe, Umsatzsteuervoranmeldungen abzugeben. Dann hätte er die für einen ordnungsgemäßen sich von der Steuerhinterziehung des Mandanten distanzierenden Berater notwendigen Schritte einleiten müssen, um sich vom Vorwurf der Beihilfe zur Steuerhinterziehung befreien zu können. Dies sei nicht nur eine berufsrechtliche Anforderung, vielmehr werde durch das fehlende Distanzieren des Klägers von der Steuerhinterziehung der Haupttäter das Willenselement des Eventualvorsatzes erfüllt.
41Ohne rechtliche Relevanz seien die vom Kläger dargestellten Mandantentypen. Gerade aufgrund der Kenntnis des Klägers von den anderen Konstruktionen der o.g. anderen Gesellschaften (Z AG als Buffer und X AG als Missing Trader) habe er diesen Mandantentyp bereits gekannt, weil es dieselben handelnden Personen gewesen seien. Den Haupttäter Herrn N habe er seit 2000 gekannt, die anderen seien später hinzugekommen. Der Kläger habe nicht in die Seriosität dieser Mandanten vertrauen können, weil er z.B. den Haupttäter Herrn N hinsichtlich der sog. Warnunterlagen aus Österreich beraten habe. Dies werde ferner dadurch bekräftigt, dass die bei der Z AG und bei der X AG sowie bei der A GmbH anberaumten Umsatzsteuersonderprüfungen angestanden hätten, aber keinerlei Unterlagen vorgelegt worden seien. Auch die nach erfolgter Schätzung eingelegten Rechtsbehelfe hätten mangels Vorlage von Unterlagen nicht begründet werden können.
42Ferner müsse der Kläger auch nicht jeden Vorgang gekannt haben, um zu erkennen, dass Umsatzsteuern hinterzogen würden. Ausreichend sei, dass er von den korrespondierenden Rechnungen (einerseits geltend gemachte Vorsteuer und andererseits nicht abgeführte Umsatzsteuer) Kenntnis gehabt habe.
43Unerheblich sei, dass andere Finanzämter gegenüber dem Kläger ergangene Haftungsbescheide aufgehoben hätten.
44Entgegen der Ansicht des Klägers sei der Grundsatz der anteiligen Tilgung im Streitfall nicht anwendbar. Der haftungsbegrenzende Grundsatz der anteiligen Tilgung greife dann nicht ein, wenn die steuerlichen Pflichten dadurch verletzt würden, dass in Kenntnis des Fehlens vorhandener Mittel des verwalteten Vermögens einem anderen eine Rechnung mit offen ausgewiesener Umsatzsteuer ohne Berechtigung erteilt werde (FG Hamburg v. 12.12.2013 3 K 87/13). Dies müsse im Rahmen einer Haftung gemäß § 71 AO für einen Mittäter bzw. Gehilfen ebenso gelten; erst recht dann, wenn – wie im Streitfall – die Mittel sogar absichtlich vorenthalten würden, um den mithilfe der unberechtigten Rechnungserteilung auf einer späteren Ebene geltend gemachten Vorsteuererstattungsanspruch und den hieraus entstehenden Vermögensvorteil zu sichern. Der BFH habe in die gleiche Richtung entschieden. Der Grundsatz der anteiligen Tilgung sei im Rahmen des § 71 AO nur dann anwendbar, wenn die Haftung nach § 69 AO und nach § 71 AO zusammenfalle. Dies sei vorliegend nicht gegeben.
45Im Übrigen folge aus dem Wortlaut des § 71 AO, dass eine Unterscheidung zwischen der Steuerhinterziehung und der Steuerhehlerei nicht vorgenommen werde. Die beiden Straftatbestände seien auch vergleichbar, weil beide einen Vermögensschaden des Fiskus zur Folge hätten. Der BFH knüpfe an das rechtmäßige Verhalten des Steuerschuldners an und lege fest, dass bei einem rechtmäßigen Verhalten kein Steueranspruch entstanden wäre. Daher könne es vorliegend auf die Leistungsfähigkeit des Steuerschuldners oder des in Haftung genommenen Straftäters gar nicht ankommen.
46Selbst wenn man den Grundsatz der anteiligen Tilgung im Rahmen des § 71 AO anwenden wollte, würde er vorliegend nicht eingreifen, weil es gerade Sinn und Zweck eines missing traders sei, einen Steuerschaden anzurichten und eher vermögenslos zu agieren. Deshalb würden dem missing trader bewusst keine Mittel zur Verfügung gestellt bzw. vorhandene Gelder gezielt entzogen, um es für private Zwecke (z.B. einen aufwändigen Lebensstil) zu verwenden.
47Die Haftung sei auch nicht nur auf einen Zinsschaden zu begrenzen. Der Kläger habe nicht nur eine Beihilfe zur Steuerhinterziehung auf Zeit begangen. Es seien im Streitfall weder Voranmeldungen noch die Jahreserklärung abgegeben worden. Insbesondere liege keine „Verkürzung auf Zeit“ vor, weil bei Nichtabgabe der Steueranmeldungen eine Verkürzung der nominellen Steuerbeträge auf Dauer eintrete. Die Tätervorstellung, die Steuerbeträge nur „auf Zeit" zu verkürzen, stelle keinen den Vorsatz bezüglich der nominell hinterzogenen Steuerbeträge eingrenzenden Umstand dar, sondern sei lediglich in der Strafzumessung zu berücksichtigen.
48Der Haftungsbescheid sei auch ermessensgerecht ergangen. Das Entschließungsermessen sei bei § 71 AO vorgeprägt. Ferner sei die Inanspruchnahme in Höhe der verkürzten Steuern sachgerecht, weil auch der Gesetzeswortlaut keine Differenzierung hinsichtlich des Haupttäters und des Teilnehmers einer Steuerhinterziehung vornehme.
49Das im Erörterungstermin am 02.02.2018 diskutierte Urteil des BGH vom 13.07.2017, 1 StR 536/16 beziehe sich nur auf die Frage des Strafmaßes („mitbestrafte Vortat“). Die Ausführungen in dieser Entscheidung spielten vorliegend jedoch keine Rolle, weil es wegen der frühzeitigen Aufdeckung der Tat nicht mehr zur Abgabe von Umsatzsteuerjahreserklärungen gekommen sei; daher sei der Dauerschaden bereits durch die pflichtwidrige Nichtabgabe von Umsatzsteuervormeldungen eingetreten.
50Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass durch die Nichtabgabe der Umsatzsteuervoranmeldungen rechtzeitige Steuerfestsetzungen verhindert und damit Vollstreckungsmaßnahmen vereitelt worden seien. Gerade dieser Umstand mache deutlich, dass durch Verfehlungen im Rahmen des Umsatzsteuervoranmeldungsverfahrens dem Fiskus nicht nur ein Zinsschaden entstehe, sondern vielmehr bereits die entscheidende Grundlage für einen endgültigen Steuerausfall gelegt werde.
51Ferner sei auch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachtet worden. Es habe keine andere – mildere – Möglichkeit bestanden, als den auch vom Kläger angerichteten Vermögensschaden des Fiskus im Wege der Haftungsinanspruchnahme als Schadensersatz geltend zu machen.
52Schließlich sei der Kläger mit seinen Einwendungen gegen das rechtskräftige Urteil des LG C ausgeschlossen. Denn dieses Urteil beruhe letztlich auf einem Geständnis des Klägers und einer tatsächlichen Verständigung; auf letztere habe der Kläger im bisherigen Verfahren mehrfach hingewiesen. Dann müsse der Kläger nach dem auch im Steuerrecht geltenden Rechtsgrundsatz des venire contra factum proprium die strafrechtliche Verurteilung auch im vorliegenden Verfahren gegen sich gelten lassen. Für die steuerrechtliche Frage sei es ohne Bedeutung, ob in strafprozessualer Hinsicht eine wirksame Verständigung i.S. des § 257c StPO zustande gekommen sei. Dies gelte umso mehr, als das strafrechtliche Urteil mit exakt der ursprünglich vereinbarten Entscheidung – einem angesichts der Höhe der hinterzogenen Steuern ausgesprochen milden Urteil – ausgegangen sei. Zugunsten des Klägers sei strafmildernd berücksichtigt worden, dass er durch seine Mithaftung für die entstandenen Steuerschäden in Zukunft erheblich finanziell belastet sein werde. Ihm sei also ein Aspekt in erheblichem Umfang strafmildernd zu Gute gehalten worden, den er nunmehr nachdrücklich bestreite. Hierin sei offenkundig ein widersprüchliches Verhalten zu sehen. Denn das Handeln des Klägers sei offensichtlich von dem Ziel geprägt gewesen, seine rechtlichen Positionen im Straf- bzw. finanzgerichtlichen Verfahren immer so anzupassen, um möglichst das für ihn persönlich günstigste Ergebnis zu erzielen. So habe er ausweislich des Strafurteils - nicht zuletzt im Hinblick auf die Auswirkungen bei der Strafzumessung - ein umfassendes Geständnis abgelegt. Er habe seine Tatbeteiligung ausdrücklich zugestanden, um sie nunmehr gegenüber dem Finanzgericht zu bestreiten. Er habe im Strafverfahren keine Einwendungen gegen seine Verurteilung und die dabei getroffenen Feststellungen erhoben, vielmehr habe er dieses Urteil angenommen. Ein Angeklagter würde jedoch insbesondere eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe in einem derartigen Umfang jedenfalls dann nicht akzeptieren, wenn er - wie nunmehr im finanzgerichtlichen Verfahren vorgetragen werde - offensichtlich unschuldig gewesen sein soll. Vielmehr unterstreiche auch dieser Umstand, dass die im Vorfeld der Verhandlung getroffenen Absprachen letztlich zu dem - in Ansehung des Tatvorwurfs - geringen und offensichtlich im Interesse des Klägers liegenden Strafmaß geführt hätten. Es sei ein evident widersprüchliches Verhalten und ein Verstoß gegen den Rechtsgrundsatz des venire contra factum proprium, wenn der Kläger im vorliegenden Haftungsverfahren die Feststellungen im strafrechtlichen Urteil nicht gegen sich gelten lassen wolle. Der Kläger habe auch ohne die behauptete Drucksituation im Strafprozess lange nach Ende der Untersuchungshaft die Tat gestanden. Offensichtlich sei er mit der abgesprochenen und sodann verhängten Freiheitsstrafe einverstanden gewesen.
53Zu beachten sei ferner, dass der Kläger mit seinem Geständnis ein wesentliches Indiz für die Wahrheit der zugestandenen Tatsachen gesetzt habe. Im Übrigen habe er durch dieses schlüssige Geständnis wie auch das unterlassene Rechtsmittel gegen die landgerichtliche Entscheidung maßgeblich dazu beigetragen, dass eine weitere Aufklärung des Sachverhaltes - soweit diese für eine Verurteilung überhaupt erforderlich gewesen sei - unterbleiben konnte. Er habe also maßgeblich zu einer Abkürzung des Strafverfahrens beigetragen. Gerade in einer solchen Situation müsse es ihm jedoch nach dem Grundsatz von Treu und Glauben verwehrt sein, viele Jahre später das Ergebnis des Strafverfahrens (erstmalig) in Zweifel zu ziehen.
54Im Übrigen wird auf die beigezogenen Akten des Beklagten einschließlich diverser Vernehmungsprotokolle, das Strafurteil des Landgerichts C und den Steuerfahndungsbericht der Steuerfahndung T Bezug genommen.
55Am 02.02.2018 hat ein Erörterungstermin stattgefunden. Wegen des Ergebnisses wird auf die Niederschrift verwiesen (Bl. 239 ff. FG-Akte).
56Entscheidungsgründe
57Die zulässige Klage ist unbegründet.
58Der angefochtene Haftungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung ist dem Grunde und der Höhe nach rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Beklagte hat den Kläger zu Recht nach § 71 AO in Haftung genommen.
59A. Gemäß § 71 AO haftet, wer eine Steuerhinterziehung begeht oder an einer solchen Tat teilnimmt, für die verkürzten Steuern. Nach § 191 Abs. 1 Satz 1 AO kann durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden, wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist die Entscheidung über die Inanspruchnahme eines Haftungsschuldners zweigliedrig (vgl. BFH-Urteil vom 20.09.2016 - X R 36/15, BFH/NV 2017, 593 m. w. N.). Das Finanzamt hat zunächst zu prüfen, ob in der Person oder den Personen, die es zur Haftung heranziehen will, die tatbestandlichen Voraussetzungen der Haftungsvorschrift erfüllt sind. Dabei handelt es sich um eine vom Gericht voll überprüfbare Rechtsentscheidung. Daran schließt sich die nach § 191 Abs. 1 AO zu treffende Ermessensentscheidung des Finanzamtes an, ob und wen es als Haftungsschuldner in Anspruch nehmen will. Diese auf der zweiten Stufe zu treffende Entscheidung ist gerichtlich nur im Rahmen des § 102 Abs. 1 FGO auf Ermessensfehler überprüfbar. Prüfungsmaßstab hierfür ist allein die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung, also der Einspruchsentscheidung.
60I. Die Haftungsvoraussetzungen des § 71 AO liegen im Streitfall vor. Der Kläger hat nach Überzeugung des Senats vorsätzlich Beihilfe zur Steuerhinterziehung durch Unterlassen der Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen geleistet. Dies ergibt sich aus den dem Senat vorliegenden Vernehmungen im Steuerstrafverfahren und aus dem Urteil des LG C; einer weiteren Beweisaufnahme bedurfte es nicht.
61Nach § 76 Abs. 1 FGO hat das Finanzgericht den entscheidungserheblichen Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen. Dies gilt insoweit, als Aufklärungsmaßnahmen durch den Inhalt der Akten, das Beteiligtenvorbringen oder sonstige Umstände veranlasst sind. Dabei steht die Art und Weise der Beweiserhebung und die Auswahl der Beweismittel grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH, der der Senat folgt, wird die dem Finanzgericht obliegende Sachaufklärungspflicht nicht dadurch verletzt, dass sich das Finanzgericht die tatsächlichen Feststellungen, Beweiswürdigungen und rechtliche Beurteilungen des Strafverfahrens zu eigen macht, wenn nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) diese Feststellungen zutreffend sind. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Tatsachen, auf die es ankommt, bereits im Strafverfahren rechtskräftig festgestellt worden sind, die Beteiligten die im Strafurteil getroffenen Feststellungen als zutreffend anerkennen bzw. keine substantiierten Einwendungen dagegen erheben und für das Gericht kein Grund besteht, gleichwohl eine weitere Aufklärung vorzunehmen (BFH v. 23.04.2014 VII R 41/12, BFHE 245, 493, BStBl II 2015, 117, m.w.N.).
62Nach diesen Grundsätzen macht sich der Senat nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) die in dem Urteil des LG C widerspruchsfrei getroffenen Feststellungen zu Eigen. Entgegen der Auffassung des Klägers konnten diese Feststellungen im vorliegenden Verfahren übernommen werden. Diese Überzeugung des Senats wird gestützt durch die ihm vorliegenden umfangreichen Vernehmungsprotokolle, insbesondere des Klägers selbst sowie der Herren D und N.
631. Strafbare Beihilfe ist die vorsätzliche Hilfeleistung zu einer vorsätzlich begangenen Straftat eines anderen (§ 27 Abs. 1 StGB). Als Hilfeleistung im Sinne von § 27 StGB ist dabei grundsätzlich jede Handlung anzusehen, welche die Herbeiführung des Taterfolges des Haupttäters objektiv fördert, ohne dass sie für den Erfolg selbst ursächlich sein muss. Gehilfenvorsatz liegt vor, wenn der Gehilfe die Haupttat in ihren wesentlichen Merkmalen kennt und in dem Bewusstsein handelt, durch sein Verhalten das Vorhaben des Haupttäters zu fördern (sog. doppelter Gehilfenvorsatz). Einzelheiten der Haupttat braucht er nicht zu kennen (BGH v. 20.01.2011 - 3 StR 420/10, juris, m. w. N.). Er muss auch die quantitative Dimension des vom Haupttäter verwirklichten Unrechts nicht im Detail kennen, z. B. die Höhe der letztlich hinterzogenen Steuern (BGH v. 22.07.2015 1 StR 447/14, juris, m. w. N.). Ob der Gehilfe den Erfolg der Haupttat wünscht oder ihn lieber vermeiden würde, ist nicht entscheidend. Es reicht, dass die Hilfe an sich geeignet ist, die fremde Haupttat zu fördern oder zu erleichtern, und der Hilfeleistende dies weiß. Unter dieser Voraussetzung ist der Vorsatz selbst dann nicht in Frage gestellt, wenn der Gehilfe dem Haupttäter ausdrücklich erklärt, er missbillige die Haupttat (BGH v. 28.10.2015 1 StR 465/14, juris; Krumm in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 370 AO Rz. 175, m. w. N.).
64a) Eine Haupttat in Gestalt der Steuerhinterziehung liegt vor. Für die A GmbH wurden durch das zuständige Organ vorsätzlich keine Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben. Dadurch ist es nach den nicht bestrittenen Feststellungen des LG C zu Steuerverkürzungen in Höhe von ... € gekommen. Unverständlich sind für den Senat insoweit die Ausführungen des Klägers zu der Frage, ob überhaupt eine Haupttat vorliege. Sämtliche Haupttäter sind strafrechtlich zu Freiheitsstrafen verurteilt worden.
65b) Der Kläger hat zu diesen Haupttaten Beihilfe geleistet, indem er auftragswidrig keine Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben hat bzw. das ihm erteilte Mandat nicht niedergelegt hat.
66So hat einer der Haupttäter, Herr D (Vernehmung am ....2009), dargestellt, dass der Kläger mehrere Gesellschaften des Täterkreises beraten hat und dass er deshalb wusste, dass umsatzsteuerbare und -pflichtige Umsätze der einen Gesellschaft bei der anderen zum Vorsteuerabzug führten, so dass aber für die erste Gesellschaft eine entsprechende Zahlungsverpflichtung entstanden war. Bestätigt wird dies durch die Aussage des Herrn N in dessen Vernehmung vom ....2009. Das LG C hat dementsprechend – und auf der Basis des Geständnisses des Klägers – hierzu festgestellt, dass dem Kläger die entsprechenden Umsätze auf der Grundlage der von der A GmbH in Verkehr gegebenen Rechnungen bekannt waren und dass sie bei dieser GmbH anzumelden waren.
67Der Kläger war auch dazu verpflichtet, für die A GmbH Umsatzsteuervoranmeldungen abzugeben. Dabei ist es ohne Belang, ob er selbst oder – wie er vorträgt – die G Steuerberatungs-GmbH rechtlich mandatiert gewesen ist. Er hat dazu selbst in seiner Aussage vom ....2009 vorgetragen, dass „ihm“ das Mandat der A GmbH von Herrn D und Herrn V angetragen worden war. Sein Auftrag war danach die Erstellung einer Buchführung und die Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen. Außerdem ist er im Bericht über die Umsatzsteuersonderprüfung bei der A GmbH als steuerlicher Berater aufgeführt. Selbst wenn zivilrechtlich die G Steuerberatungs-GmbH mandatiert gewesen sein sollte, führt dies zu keinem anderen Ergebnis, weil die unwidersprochenen Ermittlungen der Steuerfahndung T (Auszug aus dem strafrechtlichen Schlussbericht vom ....2009) hierzu ergeben haben, dass der Kläger trotz seiner Anstellung bei der G Steuerberatungs-GmbH selbst die betreffenden Mandate betreut hat. Auch in dieser Position kann er Beihilfe zu einer Steuerhinterziehung leisten. Auf die zivilrechtlichen Leistungsbeziehungen kommt es insoweit nicht an. Abgesehen davon hat der Kläger im Haftprüfungstermin am ....2009 selbst angegeben, dass er „alle Mandate“ im Zusammenhang „mit dem vorliegenden Tatkomplex“ niederlegen werde, soweit noch nicht geschehen. Dies würde keinen Sinn machen, wenn der Kläger überhaupt nicht Mandatsträger gewesen wäre.
68Wenn tatsächlich – wie vom Kläger ausgesagt – die Buchführungsunterlagen derart lückenhaft waren bzw. ihm gar nicht vorgelegt wurden, so wäre es seine Pflicht gewesen, das „ihm“ erteilte Mandat niederzulegen. Dabei spielt es entgegen der vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgetragenen Auffassung keine Rolle, dass man nicht zur Unzeit ein Mandat niederlegen dürfe. Selbst wenn sich diese Rechtsfrage stellen sollte, kann es nicht dazu führen, dass vom Kläger seitens seiner Mandanten ein strafwürdiges Verhalten erwartet werden kann. Abgesehen davon hatte der Kläger nach seiner eigenen Darstellung mehrfach darauf hingewiesen, dass Buchführungsunterlagen unvollständig seien. Dann hätte er schon frühzeitig eine Mandatsniederlegung in Aussicht stellen müssen (vgl. OLG Nürnberg v. 10.02.2016 11 U 1636/15, ECLI:DE:OLGNUER:2016:0210.11U1636.15.0A, juris).
69c) Der Kläger hat auch mit dem maßgeblichen doppelten Gehilfenvorsatz gehandelt.
70Vorsatz bedeutet das Wissen und das Wollen der Tatbestandsverwirklichung. Hinsichtlich des subjektiven Tatbestandes des Teilnehmers bestehen Besonderheiten, soweit die Beihilfehandlung zugleich die Merkmale des sog. „berufstypischen Verhaltens“ erfüllt, wie dies z. B. bei der Mitwirkung von Angehörigen der steuerberatenden Berufe an der Erstellung von Steueranmeldungen oder Steuererklärungen der Fall ist. Hier hält die höchstrichterliche Rechtsprechung eine „bewertende Betrachtung im Einzelfall“ für geboten, für die folgende Grundsätze gelten: Zielt das Handeln des Haupttäters ausschließlich darauf ab, eine strafbare Handlung zu begehen, und weiß dies der Hilfeleistende, so ist sein Tatbeitrag als vorsätzliche Hilfeleistung zu werten. In diesem Fall verliert sein Tun stets den Alltagscharakter; der Teilnehmer solidarisiert sich mit dem Täter. Weiß der Hilfeleistende dagegen nicht, wie der von ihm geleistete Beitrag vom Haupttäter verwendet wird, hält er es lediglich für möglich, dass sein Tun zur Begehung einer Straftat genutzt wird, so ist sein Handeln regelmäßig noch nicht als strafbare Beihilfehandlung zu beurteilen. Bedingter Vorsatz kann hier deshalb – jedenfalls für den Regelfall – nicht weiterführen, weil der professionell Handelnde wegen der „beruflichen Normalität“ seines Handelns auf die Legalität des fremden Tuns vertrauen darf (BGH v. 22.01.2014 5 StR 468/12, juris; Krumm, a.a.O., § 370 AO Rz. 176). Dies gilt allerdings dann nicht, wenn das von dem Hilfeleistenden erkannte Risiko strafbaren Verhaltens des von ihm Unterstützten derart hoch ist, dass er sich mit seiner Hilfeleistung „die Förderung eines erkennbar tatgeneigten Täters angelegen sein lässt“ (BGH v. 01.08.2000 5 StR 624/99, BStBl II 2002, 79; v. 18.06.2003 5 StR 489/02, NJW 2003, 2996; Krumm, a.a.O., § 370 AO Rz. 176, jeweils m. w. N.).
71Der Senat hat keinen Zweifel daran, dass dem Kläger die Auswirkungen seines Handelns völlig bewusst waren und er sich mit den Haupttätern solidarisiert hat. Dies folgt bereits aus seinem Geständnis im Strafprozess, wonach ihm klar gewesen war, dass Umsatzsteuer verkürzt wurde. Ferner hat er sich in einem anderen Strafverfahren (...Kls...) selbst dahingehend eingelassen, dass er ab dem Jahr 2008 erkannt hatte, dass für Firmen, die er als Steuerberater betreute, teilweise Vorsteuerabzug aus Rechnungen geltend gemacht wurde, für die die Lieferanten die entsprechende Umsatzsteuer nicht abgeführt hatten (Schreiben der Rechtsanwälte H/Q vom ....2012, Rb-Akte ...). Ihm war daher bewusst, dass die Haupttäter vorsätzlich gehandelt haben; diese Handlungen hat er bewusst und gewollt unterstützt.
722. Der Senat sieht sich nicht daran gehindert, die Feststellungen des LG C auch für das hiesige Verfahren zugrunde zu legen.
73a) Das vor dem Strafgericht abgegebene Geständnis schließt ein, dass der Kläger eingeräumt hat, sich der ihm strafrechtlich vorgeworfenen Tat schuldig gemacht zu haben (BFH v. 19.10.1995 VII B 118/95, BFH/NV 1996, 291). Zur Übernahme der vom FG für zutreffend erachteten Feststellungen und Beweiswürdigungen des Strafgerichts besteht besonders dann Anlass, wenn die strafgerichtliche Entscheidung bereits rechtskräftig geworden ist (BFH v. 25.10.2004 VII B 69/04, juris). Davon geht für das finanzgerichtliche Verfahren eine Indizwirkung aus, die nur dadurch ausgeräumt werden kann, dass der Kläger substantiiert darlegt und unter Beweis stellt, weshalb sein Geständnis zu Unrecht abgelegt worden ist bzw. der ihm vom Strafgericht gemachte Schuldvorwurf unberechtigt ist (BFH v. 21.05.1999 VII B 37/99, BFH/NV 1999, 1496). Das bloße Abstreiten von einzelnen Gesichtspunkten ist dann kein substantiierter Angriff gegen die Grundlagen eines Strafurteils, wenn eine plausible Erklärung für die zu Unrecht vorgenommene Ablegung eines Geständnisses nicht gegeben wird (BFH v. 22.03.1988 VII B 193/87, BFH/NV 1988, 722). So ist etwa die bloße Absicht, die Strafverfahrensdauer abzukürzen, kein Grund, Straftaten einzugestehen, die zur Verhängung einer mehrjährigen Freiheitsstrafe geführt haben (vgl. BFH in BFH/NV 1988, 722; in BFH/NV 1996, 291). Zwar mag es sein, dass ein Angeklagter für ihn ungünstige Feststellungen über den Tatumfang im Einzelfall hinnimmt, um eine Verkürzung der Verfahrensdauer zu erreichen. Wenn der Steuerpflichtige aber nicht näher angegeben hat, welche genauen Tatsachen zu Unrecht eingestanden wurden, kann seine Einlassung nur als schlichtes Bestreiten gewertet werden, die nicht geeignet ist, Zweifel an den Feststellungen des Strafgerichts aufkommen zu lassen (BFH in BFH/NV 1988, 722; FG Münster v. 26.11.2004 9 K 5436/98 U, EFG 2005, 1009).
74Der Kläger wendet sich gegen die strafgerichtlichen Feststellungen nicht mit substantiierten Einwendungen. Er trägt im Wesentlichen nur eine andere rechtliche Wertung von Einzelfragen vor, bestreitet indes nicht substantiiert die tatsächlichen Feststellungen des Strafgerichts. Er zieht sich lediglich darauf zurück, dass nicht er selbst, sondern die G Steuerberatungsgesellschaft mandatiert gewesen sei, so dass ihn schon keine Pflichtverletzung treffe, und dass das gesamte Geschehen rechtlich anders zu würdigen sei. Mit dem letzten Gesichtspunkt kann er ohnehin nicht gehört werden, weil die rechtliche Würdigung Sache des Gerichts ist. Dass er selbst ein Geschehen rechtlich möglicherweise anders wertet als das Gericht, liegt in der Natur der Sache. Hinsichtlich seiner Pflichtverletzung wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.
75b) Entgegen der Ansicht des Klägers spielt es auch keine Rolle, ob im Strafverfahren eine zulässige Verständigung nach § 257c StPO zustande gekommen ist. Denn unabhängig von der strafprozessualen Rechtswirksamkeit einer solchen Absprache hat der Senat nach Maßgabe der FGO den Sachverhalt zu ermitteln. Daher brauchte der Senat auch nicht dem diesbezüglichen in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag nachkommen. Abgesehen davon hat der Beklagte diese Frage nicht bestritten.
76Desgleichen ist es völlig ohne steuerverfahrensrechtliche Bedeutung, ob der Strafprozess – wie vom Kläger mit dem zweiten in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag behauptet – ohne eingehende Prüfung der Sach- und Rechtslage beendet worden ist. Selbst wenn es so sein sollte, ändert dies nichts an der unzweifelhaften Tatsache, dass der Kläger im Strafprozess ein umfassendes Geständnis abgelegt hat, in diesem Verfahren Zeugen gehört wurden und er auf dieser Basis zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden ist.
77II. Unabhängig davon folgt der Senat dem Grunde nach der Ansicht des FG Mecklenburg-Vorpommern in dessen Entscheidung vom 19.10.2016 3 K 86/13 (juris).
78Danach ist ein Kläger im Finanzgerichtsprozess nach dem Rechtsgrundsatz des venire contra factum proprium mit Einwendungen gegen das strafgerichtliche Urteil ausgeschlossen, wenn das Strafurteil auf einer Verständigung zwischen den dortigen Verfahrensbeteiligten beruht. Der Grundsatz des Verbots des widersprüchlichen Verhaltens ist auch im Steuerrecht anzuwenden (BFH v. 29.01.2009, VI R 12/06, BFH/NV 2009, 1105). Selbst wenn man zugunsten des Klägers davon ausgeht, dass keine rechtlich relevante Absprache im Strafprozess getroffen worden ist, so ist vorliegend dennoch zu berücksichtigen, dass zum einen Inhalt des strafrechtlichen Urteils die zuvor „angedachte Absprache“ geworden ist und dass angesichts des verwirklichten Steuerschadens aufgrund des Geständnisses eine erhebliche Reduzierung des Strafmaßes vorgenommen worden ist, die ohne Geständnis wohl kaum zu erreichen gewesen wäre. So hat das LG C ausdrücklich im Rahmen der Strafzumessung ausgeführt, dass zugunsten des Klägers zu berücksichtigen sei, dass er durch „seine Mithaftung für die entstandenen Steuerschäden“ in Zukunft erheblich finanziell belastet sei. Vor diesem Hintergrund hält es der Senat für einen Verstoß gegen das Verbot widersprüchlichen Verhaltens, wenn der Kläger nunmehr im Finanzgerichtsprozess das Gegenteil dessen vorträgt, was im Strafprozess zugestanden wurde. Denn einerseits wurde die mehr als günstige Strafzumessung mit dem Geständnis „erkauft“, andererseits möchte er die damit verbundenen Nachteile nunmehr rückgängig machen, obwohl die Strafzumessung aufgrund der Rechtskraft des Strafurteils nicht mehr geändert werden kann.
79Auch wenn – wie der Kläger durchaus zutreffend vorträgt – widersprüchliches Verhalten nicht verboten ist, so ist es zumindest in Fällen wie dem vorliegenden dennoch immer in einem Gesamtrahmen zu betrachten. Dabei ist dem seinerzeit anwaltlich beratenen Kläger entgegenzuhalten, dass er sein Geständnis in öffentlicher Hauptverhandlung abgegeben und dadurch ein bestimmtes Urteil der Strafkammer erreicht hat. Diese von ihm erstrebte Folge seines damaligen Verhaltens wird aber im jetzigen Verfahren im Hinblick auf die umfangreichen Einwendungen des Klägers gegen seine Inanspruchnahme gerade nicht mehr erfasst. Es hätte aus Sicht des Senats nichts dagegen gesprochen, dass der Kläger seine jetzigen strafrechtlich relevanten Einwendungen gegen seine vermögensrechtliche Inanspruchnahme nach § 71 AO bereits im Strafprozess vorgebracht hätte. Ebenso ist zu bedenken, dass das Urteil des LG C seitens des Klägers nicht mit der Revision angefochten wurde, obwohl nach seiner heutigen Einschätzung vieles daran unzutreffend gewesen sein soll. Indem er dies alles nicht getan hat, hat der Kläger ein Urteil der Strafkammer, das seiner Ansicht nach fehlerhaft ist, rechtskräftig werden lassen, um sich die Früchte seines Geständnisses – die günstige Strafzumessung – zu erhalten. Denn hätte er seine jetzigen Einwendungen bereits im Strafprozess vorgebracht, wäre ein bedeutsamer, wenn nicht sogar der maßgebliche Strafmilderungsgrund entfallen (in diesem Sinne zu einer rechtsähnlichen Konstellation OLG Hamburg v. 02.10.2008 1 U 189/05, juris). Das vom Kläger mit seinem Geständnis im Strafprozess zu seinen Gunsten eingehandelte „Übel“ einer geringeren Strafzumessung würde über die steuerrechtliche Seite – Aufhebung des Haftungsbescheides wegen Bestreitens der strafrechtlichen Voraussetzungen des § 71 AO – noch einmal deutlich vermindert. Dies widerspräche dem Gebot der Einheit der Rechtsordnung (hierzu Tipke, Steuerrechtsordnung, Bd. II, 2. Aufl. 2000, § 3 Nr. 4; Seer in Tipke/Lang, 23. Aufl. 2018, § 1 Rz. 44 ff.). Dieser Rechtsgedanke ist im Übrigen in § 12 Nr. 4 EStG quasi in umgekehrter Form kodifiziert.
80Sollte eine Absprache getroffen worden sein, würde dies alles erst recht gelten.
81B. Der angefochtene Haftungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 09.01.2015 ist auch der Höhe nach nicht rechtswidrig.
82I. Aufgrund der Feststellungen im strafgerichtlichen Urteil des LG C steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger an einer Steuerhinterziehung teilgenommen hat, die einen Steuerschaden in Höhe von ... € verursacht hat (s.o.). Hiergegen hat der Kläger auch keine substantiierten Einwendungen erhoben. Allein der Hinweis darauf, dass er bestreite, subjektiv von der endgültigen Nichterklärung des Jahresbetrages ausgegangen zu sein, führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn das von ihm im Strafprozess abgegebene Geständnis ist ein maßgebliches wichtiges Indiz für die Wahrheit der zugestandenen Tatsachen (BGH v. 15.03.2004 II ZR 136/02, MDR 2004, 954; OLG Koblenz v. 04.11.2013 12 U 467/13, juris).
83II. Der vom Kläger beanspruchte Grundsatz der anteiligen Tilgung zur Minderung der Haftungssumme ist vorliegend nicht anzuwenden.
84In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass im Rahmen der Haftung nach §§ 69, 34 AO sich der Umfang der Haftung nach dem Grundsatz der anteiligen Tilgung auf den Betrag beschränkt, der infolge der Pflichtverletzung nicht entrichtet wurde. Dies gilt grundsätzlich auch für die Haftung nach § 71 AO, wenn der Geschäftsführer einer GmbH infolge einer begangenen Steuerhinterziehung neben dem Haftungstatbestand des § 69 AO zugleich den Haftungstatbestand des § 71 AO verwirklicht hat (BFH v. 23.04.2014 VII R 41/12, BFH/NV 2014, 1459; FG München v. 25.11.2014 2 K 40/12, juris). Der BFH, dem der Senat folgt, stellt maßgeblich auf ein rechtmäßiges Alternativverhalten ab: Bei einem rechtmäßigen Verhalten des Steuerschuldners, also der A GmbH, wäre es nicht zu einer unterlassenen Umsatzsteuervoranmeldung gekommen. Hätte sich der Kläger als Gehilfe ebenfalls rechtmäßig verhalten, wäre es überhaupt nicht zum Haftungstatbestand des § 71 AO gekommen. Die Haftung nach § 71 AO wird in solchen Fällen nicht davon abhängig gemacht, inwieweit das Verhalten des Haftungsschuldners ursächlich für die Nichtentrichtung der Steuer durch den Steuerschuldner (die A GmbH) gewesen ist. Bei einer Haftung nach § 71 AO kann es daher auf die Leistungsfähigkeit des Steuerschuldners oder des in Haftung genommenen Steuerstraftäters nicht ankommen. Eine Anwendung des Grundsatzes der anteiligen Haftung ist daher ausgeschlossen.
85III. Dem Kläger ist auch nicht darin zu folgen, dass er nur für einen Zinsschaden des Fiskus einstehen müsse, weil er im Hinblick auf die grundsätzlich nachfolgende Jahreserklärung lediglich die nicht angemeldeten Umsatzsteuerbeträge auf Zeit hinterzogen habe.
86Eine Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO wegen nicht abgegebener Umsatzsteuervoranmeldungen ist vollendet, wenn eine Steueranmeldung zum gesetzlich vorgegebenen Termin ausbleibt (BFH v. 05.08.2010 V R 13/09, BFH/NV 2011, 81; BGH v. 11.12.1990 5 StR 519/90, juris; v. 17.03.2009 1 StR 627/08, BGHSt 53, 221; v. 02.12.2008 1 StR 344/08, juris). Dies gilt in gleicher Weise für die entsprechende Beihilfehandlung. Eine Steuerhinterziehung auf Zeit scheidet daher aus, weil der Steuerschaden bereits zu diesem Zeitpunkt eingetreten ist. Abgesehen davon weist der Beklagte zu Recht darauf hin, dass unabhängig von der Frage der Abgabe einer Jahreserklärung bereits unterjährig bestehende Vollstreckungsmöglichkeiten vereitelt wurden, weil keine Voranmeldungen abgegeben worden waren.
87C. Form- oder Ermessensfehler der angefochtenen Steuerverwaltungsakte sind nicht ersichtlich. Insbesondere die vom Kläger vorgetragene Unverhältnismäßigkeit des Haftungsbescheides liegt nicht vor.
88I. Bei Haftungsbescheiden nach § 71 AO ist das Entschließungsermessen dergestalt vorgeprägt, dass es regelmäßig Recht und Billigkeit entspricht, den Täter oder Teilnehmer einer Steuerhinterziehung als Haftungsschuldner in Anspruch zu nehmen. Einer besonderen Begründung für die Ausübung des Ermessens bedarf es daher weder dem Grunde noch der Höhe nach (BFH v. 26.02.1991 VII R 3/90, BFH/NV 1991, 504; v. 21.01.2004 XI R 3/03, BStBl. II 2004, 919; v. 14.02.2006 VII B 119/05, BFH/NV 2006, 1246; v. 12.02.2009 VI R 40/07, BFHE 224, 306, BStBl II 2009, 478; FG Berlin-Brandenburg v. 06.03.2018 9 K 9306/12, juris; FG München v. 25.11.2014 2 K 40/12, juris; FG Münster v. 24.11.2010 8 K 4132/07, juris; Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 191 AO Rz. 72 m.w.N. der Rspr.).
89Der vom Kläger in den Vordergrund gestellte Aspekt der Differenzierung zwischen einem Steuerhinterzieher und einem Steuerhehler findet im Wortlaut des § 71 AO keine Stütze. Vielmehr ist es umgekehrt so, dass der klare Gesetzeswortlaut beide Varianten in jeder Hinsicht gleich behandelt.
90Die Frage eines Auswahlermessens stellt sich vorliegend nicht, weil die Haftung gegenüber sämtlichen Tätern und Teilnehmern geltend gemacht worden ist.
91II. Die Haftung ist auch nicht unverhältnismäßig. Gerade im Hinblick auf den Schadensersatzcharakter des § 71 AO ist kein durchgreifender Grund erkennbar, im Rahmen des Ermessens Gesichtspunkte zu berücksichtigen, die sich aus der Größenordnung der Haftungsschuld im Vergleich zu den finanziellen Möglichkeiten des Haftungsschuldners ergeben (BFH v. 29.08.2001 VII B 54/01, juris m.w.N.). Die Höhe des Haftungsanspruchs ist durch die Verwirklichung des Tatbestandes des § 71 AO vorgegeben (BFH in BFH/NV 2006, 1246).
92D. Die Tatsache, dass andere Finanzämter gegenüber dem Kläger ergangene Haftungsbescheide aufgehoben haben, spielt vorliegend keine Rolle. Dadurch wird keine Selbstbindung der Verwaltung herbeigeführt.
93Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.