Finanzgericht Köln, 2 K 2087/17
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger zu 55 Prozent und der Beklagte zu 45 Prozent.
Der Streitwert wird auf ... € festgesetzt.
Das Urteil ist wegen des Kostenerstattungsanspruchs des Klägers ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, soweit nicht der Kläger zuvor Sicherheit in Höhe des vollstreckbaren Betrages leistet.
1
Tatbestand
2Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit der Inanspruchnahme des Klägers als Haftenden für Versicherungsteuerschulden einer Versicherungsmakler-GmbH, für die der Kläger als Geschäftsführer tätig gewesen ist.
3Der Kläger war persönlich haftender Gesellschafter der Z KG, einer in A ansässigen Versicherungsagentur, die sich auf ... spezialisiert hatte.
4Mit notariellem Kaufvertrag vom ... 2008 (Bl. 160 ff. der Gerichtsakte -GA-) verkaufte die Z KG ihren Bestand an Versicherungsverträgen nebst Kundenstamm, Makleraufträgen sowie allen hiermit zusammenhängenden Verträgen, die für den Geschäftsbetrieb notwendige Betriebs- und Geschäftsausstattung, alle Internet-Domainen, die Marke „Z ...“ und alle dazugehörigen Lizenzen an die B x ... GmbH i.G. Hintergrund war die Absicht des seinerzeit ... Jahre alten Klägers, sich aus dem Geschäft zurückzuziehen, und gleichzeitig die Absicht der B x ... GmbH i.G., die Versicherungsmaklergeschäfte zu übernehmen. Hierbei bestand Einigkeit, dass der Kläger an der Überleitung der langjährig aufgebauten und gepflegten Kundenbeziehungen mitwirken sollte. Die Firma dieser Gründungsgesellschaft wurde später, wie von Anfang an vereinbart, in Z ... GmbH bzw. in Z a ... GmbH (nachfolgend: Za) geändert.
5Im Zusammenhang mit dem Geschäftsveräußerungsvertrag wurde der Kläger zum Mitgeschäftsführer der neu gegründeten und das Geschäft der Z KG übernehmenden Gesellschaft bestellt. Diese Gesellschaft schloss am ...2008 mit dem Kläger einen zunächst bis zum 31. Dezember 2009 befristeten Geschäftsführervertrag. Hiernach trat der Kläger für die Za zusammen mit einem weiteren Geschäftsführer auf. Im Vertrag wurde unter „§ 1 Aufgaben“ unter anderem geregelt (vgl. Bl. 181 der GA):
6„(1) Der Geschäftsführer vertritt die Gesellschaft nach Maßgabe des Gesetzes, des Gesellschaftsvertrags, der Beschlüsse der Gesellschafterversammlung sowie einer etwaigen Geschäftsordnung.
7…
8(3) Die Arbeitszeit richtet sich nach den betrieblichen Erfordernissen und wird mit den weiteren Geschäftsführern einvernehmlich geregelt.
9…
10(5) Der Geschäftsführer nimmt die Rechte und Pflichten des Arbeitgebers i.S. der arbeits- und sozialrechtlichen Vorschriften wahr.“
11Neben den monatlichen Bezügen von 15.000 € (brutto) standen dem Kläger für seine Geschäftsführertätigkeit, aber auch darüber hinaus so lange, wie der Kläger „für die Gesellschaft weiterhin im Rahmen der Kundenakquise/Kundenbetreuung tätig ist“, vor allem noch ein Dienstwagen nebst Fahrer sowie eine/ein Sekretärin/Sekretär als persönliche/r Assistentin/Assistent zur freien Verfügung (vgl. § 3 des Geschäftsführervertrages, Bl. 182 der GA).
12Der Geschäftsführervertrag vom ...2008 wurde über das ursprünglich vereinbarte Vertragsende zum 31. Dezember 2009 mehrfach verlängert, und zwar bis zum 31. Dezember 2010, bis zum 31. Dezember 2011 und schließlich bis zum 31. Dezember 2012 (vgl. Bl. 191 der GA). In den entsprechenden Verlängerungsvereinbarungen (vgl. Bl. 47 und 188 der GA) wurde zum Aufgabenbereich vereinbart, dass der Kläger
13„im Wesentlichen folgende Aufgaben verantworten wird:
141. Akquisition Neukunden
152. Betreuung Altkunden
163. Einarbeitung von Herrn M in Akquisition und Betreuung
174. Strategische Weiterentwicklung von Za
185. Unterstützung bei Firmenakquisition, insbesondere im Bereich Transport
19Darüber hinaus wird Herr Z die Prolongationen in der Sparte P&I (…) begleiten.“
20Gleichzeitig mit der Verlängerung der Geschäftsführeranstellung wurde die monatliche Geschäftsführervergütung auf 20.000 € (brutto) erhöht.
21Neben dem Kläger waren der Gesellschafter der Za, Herr Q, sowie zunächst noch (bis Juni 2010) Herr R Geschäftsführer der Za. Alle Geschäftsführer waren vertretungsberechtigt gemeinsam mit einem anderen Geschäftsführer.
22Am ... 2012 legte der Kläger sein Amt als Geschäftsführer der insolventen Za nieder.
23Auf den eigenen Antrag der Za vom ... 2012 hin wurde mit Beschluss des Amtsgerichts A vom ... 2012 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Za eröffnet.
24Mit Haftungsbescheid vom 8. April 2016 (Bl. 3 der GA) nahm der Beklagte den Kläger wegen Abgabenrückständen (Versicherungsteuer) der Za für die Anmeldungszeiträume Oktober 2011 und November 2011 sowie März 2012 bis Juni 2012 nebst Säumniszuschlägen in Anspruch, und zwar in Höhe von insgesamt ... €. Der hiergegen eingelegte Einspruch blieb erfolglos. Der Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 14. Juli 2017 (Bl. 10 der GA) als unbegründet zurück. Gleichzeitig lehnte der Beklagte den Antrag auf Erlass der Säumniszuschläge ab.
25Im Laufe des Klageverfahrens änderte der Beklagte den Haftungsbescheid zunächst durch Änderungsbescheid vom 18. Dezember 2017 (Bl. 67 der GA) dahingehend, dass die Haftung wegen teilweise eingetretener Verjährung (betreffend Steuerbeträge für Oktober und November 2011) auf die Versicherungsteuer für die Anmeldungszeiträume März 2012 bis Juni 2012 sowie angefallene Säumniszuschläge beschränkt und in der Folge auf insgesamt ... € abgesenkt wurde. Mit weiterem Änderungsbescheid vom 24. August 2018 (Bl. 130 der GA) wurde die Haftungsschuld um die hälftigen Säumniszuschläge (i.H.v. ... €), die im Zeitraum ab Zahlungsunfähigkeit der Za (vorliegend ab Stellung des Insolvenzantrag am ... 2012) bis zum Erlass des Haftungsbescheides vom 8. April 2016 entstanden sind, gemindert. In der Folge wurde die Haftungssumme auf ... € herabgesetzt.
26Im vorgerichtlichen Streitverfahren unterbreitete der Kläger ein Angebot zur außergerichtlichen Schuldenbereinigung dergestalt, dass der Kläger zur vergleichsweisen Erledigung des Streits über den geltend gemachten Haftungsanspruchs einen Betrag von ... € (entspricht 11,4 % der Haftungssumme ohne Säumniszuschläge) leistet. Angesichts von Verbindlichkeiten in Höhe von über ... € und beim Kläger vorhandenen Vermögenswerten von rund ... € sei die Quotenerwartung im Insolvenzverfahren geringer. Der Beklagte lehnte diesen Antrag des Klägers auf außergerichtliche Schuldenbereinigung mit Bescheid ebenfalls vom 14. Juli 2017 (Bl. 97 der GA) ab. Den hiergegen eingelegten Einspruch lehnte der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 18. Dezember 2017 (Bl. 101 der GA) ab mit der Begründung, der Kläger sei weder erlassbedürftig noch erlasswürdig.
27Zudem lehnte der Beklagte einen vollständigen Erlass der angefallenen Säumniszuschläge ab, erließ jedoch im folgenden Einspruchsverfahren einen Teil der geltend gemachten Säumniszuschläge und änderte – wie bereits erwähnt – den hier streitgegenständlichen Haftungsbescheid entsprechend.
28Mit der vorliegenden Klage erhebt der Kläger zwar keine Einwände bezüglich der der streitgegenständlichen Haftungsinanspruchnahme zu Grunde liegenden Steuerschulden bzw. Säumniszuschläge der Za. Der Kläger wendet sich jedoch weiterhin gegen die Inanspruchnahme als Haftungsschuldner für die von der Za nicht gezahlten Versicherungsteuerbeträge und trägt zur Begründung der Klage im Wesentlichen vor:
29Die Voraussetzungen für eine Haftungsinanspruchnahme gemäß § 191 Abs. 1 i.V.m. §§ 69, 34 Abs. 1 AO seien nicht erfüllt. Die am ... 2012 beendete Geschäftsführertätigkeit habe er, der Kläger, bis dahin allein zu dem Zweck ausgeübt, die Überleitung des von der Za erworbenen Kundenstammes der Z KG zu gewährleisten und zu erleichtern. Dies habe auch im Geschäftsführervertrag insoweit seinen Niederschlag gefunden, als gemäß § 1 dieses Vertrages sein Aufgabenbereich ausschließlich auf die Kundenakquise, die Einarbeitung eines Mitarbeiters, die strategische Weiterentwicklung und die Unterstützung bei Firmenakquisitionen beschränkt gewesen sei. Zudem sei eine Arbeitszeit von drei Tagen, davon ein Home-Office-Tag, vereinbart worden.
30Die Geschäftsführung der Za einschließlich der Erstellung und Unterzeichnung sämtlicher steuerlicher Erklärungen habe allein der geschäftsführende Gesellschafter Herr Q verantwortet. Der Kläger habe demgegenüber eine weitgehend untergeordnete Verantwortung inne gehabt. Dies bestätige sich auch dadurch, dass der Mitgeschäftsführer Herr Q sowie dessen Beteiligungsunternehmen alleinige Gesellschafter der Za seien. Für ihn, den Kläger, hätten sich keine Zweifel daran ergeben, dass der Mitgeschäftsführer Herr Q die Geschäftsführung ordnungsgemäß ausübe. Demgegenüber sei ihm, dem Kläger, jedoch keinerlei kaufmännische Verantwortung im Rahmen der Geschäftsführertätigkeit für die Za übertragen worden. Er sei lediglich an zwei Tagen für die Kundenpflege verantwortlich gewesen. Zudem sei er, Jahrgang 19..., allein schon aus gesundheitlichen Gründen (schwere Herzerkrankung) nicht in der Lage gewesen, eine maßgebliche Geschäftsführertätigkeit zu entfalten und insbesondere den anspruchsvollen Anforderungen eines …versicherungsmaklerunternehmens gerecht zu werden. Aus diesem Grunde sei nicht nur sein Verantwortungsbereich dienstvertraglich beschränkt worden, sondern er sei nicht alleinvertretungsberechtigt gewesen und habe auch keine Vollmacht inne gehabt, um Verfügungen über die Geschäftskonten vornehmen zu können.
31Bezüglich seiner Erkrankung verweist er auf eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des ..., Herrn G, vom 10. August 2012 (Bl. 49 der GA). Darin werde eine schwere koronare 3-Gefäßerkrankung bestätigt, die eine operative Behandlung notwendig gemacht habe und aufgrund derer er ab sofort arbeitsunfähig sei. Soweit darin keine Erkrankung bereits für den Zeitraum März bis Juni 2012 erkannt werde, entspreche dies nicht der Lebensrealität. Die schwere Herzerkrankung habe ihn nicht über Nacht ereilt, sondern beruhe auf einem mehrere Jahre andauernden Prozess. Ergänzend beruft er sich zum Beweis dafür, dass er krankheitsbedingt nicht in der Lage gewesen sei, eine nennenswerte Geschäftsführungstätigkeit für die Za auszuüben, auf das Zeugnis des ihn behandelnden Arztes Herrn G sowie auf ein einzuholendes Sachverständigengutachten (vgl. Bl. 115 der GA).
32Der Kläger trägt weiterhin vor, dass er mit dem Verkauf des Versicherungsunternehmens (Z KG) und des Kundenstammes an die Za gerade seine unternehmerische Tätigkeit habe aufgeben und seinen Ruhestand genießen wollen. Er sei zur Übernahme einer Geschäftsführerposition bei der Za nur unter der Bedingung einer Beschränkung seines Aufgabenbereiches auf die Akquise von Alt- und Neukunden bereit gewesen. Bereits im Unternehmenskaufvertrag sei dort unter § 5 Nr. 1 Buchst. f) (vgl. Bl. 169 der GA) seine Mitwirkung als Geschäftsführer nach Übernahme des Kundenstammes etc. vereinbart und hinsichtlich der Einzelheiten hierzu auf den Geschäftsführervertrag verwiesen worden. Vor diesem Hintergrund trete seine Verantwortung für die Gesamtgeschäftsführung, insbesondere die kaufmännische Geschäftsführung, hinter derjenigen des geschäftsführenden Gesellschafters Herrn Q so weit zurück, dass seine, des Klägers, Haftung, der letztendlich nur formal bestellter Geschäftsführer gewesen sei, ausscheide.
33Soweit der Beklagte auf vergangene bzw. aktuelle Geschäftsführungstätigkeit des Klägers verweist, trägt der Kläger hierzu vor, dass es sich bei der Z KG nicht (mehr) um eine werbend tätige Gesellschaft handele und deshalb erheblich geringere Anforderungen an die Geschäftsführung im Vergleich zu einer Geschäftsführungstätigkeit bei einer Gesellschaft, die ...versicherungen vermittelt und verwaltet, bestünden.
34Darüber hinaus sei er, der Kläger, wirtschaftlich nicht in der Lage, die Haftungsschuld zu bezahlen. Die Durchsetzung der Haftungsschuld würde seine wirtschaftliche Existenz vernichten, zumal er mittlerweile ... Jahre alt sei. Bezüglich des vom Beklagten abgelehnten Angebots zur außergerichtlichen Schuldenregulierung im Billigkeitswege gemäß § 163 AO verweist der Kläger auf das hierzu unter dem Aktenzeichen 2 K …/18 anhängige Klageverfahren.
35In der mündlichen Verhandlung ergänzte der Klägerbevollmächtigte den klägerischen Vortrag dahingehend, dass der Kläger letztendlich allein aus Gründen der Außendarstellung zum Geschäftsführer bestellt worden sei. Es sei den langjährigen Kunden des Klägers bzw. der Z KG nur schwer zu vermitteln gewesen, dass der Kläger ihnen gegenüber nicht mehr auf Geschäftsführerebene der Versicherungsagentur, sondern etwa nur noch als deren externer Berater auftrete.
36Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des klägerischen Vortrags wird auf die Schriftsätze vom 7. November 2017 (Bl. 41 ff. der GA), vom 12. März 2018 (Bl. 114 ff. der GA) und vom 5. Juni 2018 (Bl. 122 ff. der GA) Bezug genommen.
37Der Kläger beantragt,
38den Haftungsbescheid vom 8. April 2016 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 24. August 2018 sowie die Einspruchsentscheidung vom 14. Juli 2017 aufzuheben.
39Der Beklagte beantragt,
40die Klage abzuweisen.
41Zur Begründung trägt der Beklagte unter Bezugnahme auf die Einspruchsentscheidung vom 14. Juli 2017 ergänzend im Wesentlichen vor:
42Der Kläger sei allein im Zeitraum 2002 bis heute für die Geschäftsführung diverser Gesellschaften verantwortlich gewesen, so etwa bei der 2004 liquidierten Verwaltungsgesellschaft Z mbH in A, bis 2006 als persönlich haftender Gesellschafter der Z KG sowie seit 2013 bei der Z W KG. Noch bis Juni 2014 sei der Kläger als Komplementär für die Geschäfte der ...unternehmen Z KG in W verantwortlich gewesen. Schließlich sei der Kläger nach wie vor einzelvertretungsberechtigter Geschäftsführer der seit Oktober 2017 als Verwaltung Z GmbH firmierenden Gesellschaft.
43Der geltend gemachte Haftungsanspruch sei rechtmäßig, insbesondere seien die Haftungsvoraussetzungen erfüllt. Dem stehe eine rechtliche Beschränkung der Geschäftsführungsbefugnis des Klägers oder eine gesundheitsbedingte Einschränkung der Wahrnehmung der Geschäftsführeraufgaben nicht entgegen. Letztendlich folge die Haftung des Klägers für die Erfüllung der steuerlichen Pflichten der Za bereits aus der nominellen Bestellung des Klägers zum Geschäftsführer und ohne Rücksicht darauf, ob und inwieweit er diese Geschäftsführertätigkeit tatsächlich habe ausüben können (vgl. BFH vom 7. März 1995 – VII B 172/94).
44Vorliegend werde der Kläger wegen der Verletzung der Pflicht, Versicherungsteuerbeträge einschließlich angefallener Säumniszuschläge für die Za zu entrichten, in Anspruch genommen. Der Kläger hätte als Geschäftsführer der Za und damit als deren gesetzlicher Vertreter im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 1 AO deren steuerliche Pflichten zu erfüllen gehabt. Infolge der fehlenden Begleichung der Steuerschulden sei eine Pflichtverletzung begründet. Der kaufmännische Leiter eines Betriebes müsse die gesetzlichen Vorschriften über die Einbehaltung, Anmeldung und Abführung der Steuern beachten und ordnungsgemäß erfüllen.
45Haftungsrechtlich beschränkt sei eine Inanspruchnahme nur dann, wenn vor Aufnahme der Tätigkeit des Haftungsschuldners klar und eindeutig eine interne Aufgabenverteilung innerhalb der Geschäftsführung vorgenommen und festgehalten werde. Soweit dies nicht vorliege, treffe bei mehreren Geschäftsführern einer GmbH grundsätzlich jeden von ihnen die Verantwortung für die Erfüllung der steuerlichen Pflichten. Unabhängig davon könne eine Begrenzung der Haftung nur insoweit und solange gelten, als kein Anlass bestehe, an der ordnungsgemäßen Erfüllung der steuerlichen Pflichten durch den hierfür aufgrund der internen Abrede zuständigen Geschäftsführer zu zweifeln, oder solange allgemein die wirtschaftliche Lage des Unternehmens für eine Überprüfung der ordnungsgemäßen Erfüllung der steuerlichen Pflichten keinen Anlass gibt. Die eventuelle Beschränkung der Aufgabenverteilung entlaste den Geschäftsführer nicht von der gemäß § 43 Abs. 1 GmbHG zu beachtenden Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes (vgl. BFH vom 26. April 1984 – V R 128/79).
46Vorliegend fehle es bereits an einer erforderlichen, im Voraus getroffenen eindeutigen schriftlichen Regelung zur internen Aufgabenverteilung. Ausweislich des Geschäftsführervertrages vom ...2008 sei lediglich der Tätigkeitsschwerpunkt („im Wesentlichen“) des Klägers beschrieben worden. Daraus sei jedoch nicht zu folgern, dass der Kläger nicht noch weitere Aufgaben wahrzunehmen hatte. Jedenfalls lasse sich daraus nicht klar und eindeutig erkennen, dass der Kläger aufgrund dessen davon befreit werden sollte, die steuerlichen Pflichten für die Za wahrnehmen zu müssen.
47Sofern sich der Kläger darauf berufe, er habe mangels Alleinvertretungsbefugnis keine Geschäftsführungsmaßnahmen durchführen können, überzeuge dies nicht, denn dies gelte auch für den weiteren Geschäftsführer Herrn Q, so dass der Vortrag, dieser habe maßgeblich alleine die Geschäfte geführt und insbesondere die Steuererklärungen allein in Auftrag gegeben und unterschrieben, nicht überzeuge. Die Gesamtverantwortung für die Geschäftsführung sowohl beim Kläger als auch beim Mitgeschäftsführer Herrn Q sei seitens des Beklagten auch dadurch berücksichtigt worden, dass die beiden Geschäftsführer gesamtschuldnerisch in Haftung genommen worden seien.
48Unabhängig davon könne eine Aufgabenbegrenzung zu Gunsten des Klägers aufgrund der nur bis zum 31. Dezember 2011 gültigen vertraglichen Abrede nicht für die Erfüllung der steuerlichen Pflichten für die vorliegend geltend gemachten Steuerbeträge für den Zeitraum März bis Juni 2012 eingreifen. Schließlich sei der Kläger angesichts der Insolvenz der Za jedenfalls im Rahmen der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes verpflichtet gewesen, sich um die Gesamtbelange der Gesellschaft einschließlich der steuerlichen Pflichten zu kümmern, als sich die Zahlungsunfähigkeit und die spätere Überschuldung der Gesellschaft abgezeichnet hätten. In diesem Zusammenhang sei auch beachtlich, dass der Kläger insoweit die ihn treffende Überwachungspflicht im Hinblick auf eine Überprüfung des pflichtgemäßen Verhaltens des Mitgeschäftsführers verletzt habe, als ihm hätte auffallen müssen, dass bereits seit Oktober 2011 die Steuerzahlungen nicht ordnungsgemäß erfolgt seien.
49In der mündlichen Verhandlung ergänzte der Vertreter des Beklagten den Vortrag dahingehend, dass der Kläger im Januar 2012 gemeinsam mit dem anderen Geschäftsführer der Za gegenüber dem Beklagten aufgetreten und den Versuch einer außergerichtlichen Schuldenbereinigung unternommen habe. Ein entsprechender „Stundungsantrag“ sei von beiden Geschäftsführern der Za unterschrieben worden. Des Weiteren habe der Kläger mehrere Telefonate mit dem Beklagten geführt. Dies verdeutliche, dass der Kläger sehr wohl um die bestehenden Steuerschulden und Zahlungsschwierigkeiten der Za gewusst habe.
50Die Pflichtverletzung des Klägers sei auch mindestens grob fahrlässig erfolgt. Der Kläger verfüge über jahrelange Erfahrungen als Geschäftsführer diverser Gesellschaften sowie im Versicherungsmaklergeschäft. Er sei daher bestens mit den Pflichten eines Geschäftsführers vertraut einschließlich der Pflicht, für die Erfüllung der Geschäftsführerpflichten Sorge zu tragen, wenn er diese nicht selbst habe ausführen können. Aufgrund seiner jahrelangen Tätigkeit als Geschäftsführer im Rahmen der Versicherungsbranche habe der Kläger die Verpflichtung zur Einbehaltung, Anmeldung und Abführung von Versicherungsteuern kennen müssen. Den Kläger könne auch nicht eine mögliche Erkrankung entlasten. Zum einen habe der Kläger bereits keinen ausreichenden Nachweis für die von ihm vorgetragene gesundheitliche Beeinträchtigung bezüglich der Wahrnehmung seiner Verantwortung als Geschäftsführer für den Zeitraum März bis Juni 2012 dargelegt, denn die vorgelegte ärztliche Bescheinigung beziehe sich auf den Zeitraum ab August 2012. Des Weiteren wäre der Kläger auch im Falle einer bereits zuvor gegebenen Erkrankung verpflichtet gewesen, durch geeignete Maßnahmen dafür Sorge zu tragen, dass eine ordnungsgemäße Geschäftsführung gesichert ist. Derartige Maßnahmen habe der Kläger vorliegend jedoch nicht ergriffen. Daher sei auch weder die bezüglich der Erkrankung des Klägers angeregte Hinzuziehung des Zeugen als auch die Einholung eines Sachverständigengutachtens sachdienlich.
51Unabhängig davon vermag nach Ansicht des Beklagten nicht zu überzeugen, dass der Kläger allein aufgrund seiner Erfahrungen in der Akquise von Kunden und der Pflege von Kundenbeziehungen zum Geschäftsführer bestellt wurde. Soweit die Za sich diese Erfahrung des Klägers habe sichern wollen, hätte es keiner Bestellung zum Geschäftsführer bedurft. Da der Kläger aber gerade über mehrere Jahre als Geschäftsführer bestellt wurde, sei vielmehr anzunehmen, dass die Expertise des Klägers gerade in der Geschäftsführertätigkeit und im Versicherungsgeschäft allgemein der Za zur Verfügung stehen sollte.
52Für eine volle Verantwortlichkeit des Klägers als Geschäftsführer spreche zudem die Monatsvergütung von (zuletzt) 20.000 € brutto sowie die Zurverfügungstellung eines Dienstwagens. Eine solche Vergütung sei allein für eine „Teilzeit-Kundenpflege“ an drei Tagen je Woche eher unüblich. Selbst die Übernahme des Kundenstammes rechtfertige eine solche monatliche Vergütung nicht ohne Weiteres, da regelmäßig der Erwerb des Kundenstammes bereits mit einem entsprechenden Kaufpreis abgegolten werde.
53Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Vortrags des Beklagten wird auf die Schriftsätze vom 19. Januar 2018 (Bl. 52 ff. der GA) und vom 30. April 2018 (Bl. 118 ff. der GA) Bezug genommen.
54Entscheidungsgründe
55Die zulässige Klage ist unbegründet.
56I. Der angefochtene Haftungsbescheid vom 8. April 2016 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 24. August 2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (vgl. § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Der Beklagte hat den Kläger mit dem streitgegenständlichen Haftungsbescheid zu Recht als Haftungsschuldner für die von der Za ... GmbH geschuldeten Versicherungsteuerbeträge und Säumniszuschläge in Höhe von ... € in Anspruch genommen.
571. Gemäß § 191 Abs. 1 AO kann derjenige durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden, der kraft Gesetzes für eine Steuer haftet. Gemäß § 69 AO haften die in den §§ 34, 35 AO bezeichneten Personen, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der auferlegten Pflichten nicht, nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt oder Steuervergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund gezahlt werden. Dabei ist die Pflichtverletzung ursächlich, wenn die verantwortliche Person nicht für die pünktliche Zahlung sorgt (vgl. BFH-Urteil vom 27. Februar 1989 – VII R 165/85, BStBl. II 1989, 491). Eine Haftung umfasst gemäß § 69 Abs. 1 Satz 2 AO auch die daraus resultierenden Säumniszuschläge.
58Die Pflichtverletzung muss mindestens grob fahrlässig erfolgt sein. Grob fahrlässig handelt, wer die Sorgfalt, zu der er nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten verpflichtet und im Stande ist, in ungewöhnlich grobem Maße verletzt, d.h. er unbeachtet lässt, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen, oder dass er die einfachste, ganz naheliegende Erwägung nicht anstellt.
59Gemäß § 34 Abs. 1 AO ist der Geschäftsführer einer GmbH verpflichtet, deren steuerliche Pflichten zu erfüllen. Zwar ist der Geschäftsführer nicht verpflichtet, die steuerlichen Angelegenheiten der GmbH selbst zu erledigen, sondern er kann die Erledigung anderen Personen übertragen. Der Geschäftsführer darf aber nur innerhalb gewisser Grenzen der Redlichkeit seiner Hilfspersonen Vertrauen schenken, wenn er sich nicht dem Vorwurf einer grob fahrlässigen Pflichtverletzung aussetzen will (vgl. BFH-Urteil vom 30. August 1994 – VII R 101/92, BStBl. II 1995, 278). Der Geschäftsführer ist verpflichtet, diejenigen Personen, denen er die Erledigung der ihm als Vertreter des Steuerpflichtigen auferlegten steuerlichen Pflichten überträgt, sorgfältig auszuwählen (vgl. BFH-Urteil vom 30. Juni 1995 – VII R 85/94, BFH/NV 1996, 2) und laufend zu überwachen, insbesondere sich ständig so eingehend über den Geschäftsgang zu unterrichten, dass er unter normalen Umständen mit der ordnungsgemäßen Erledigung der Geschäfte rechnen kann bzw. dass ihm ein Fehlverhalten des beauftragten Dritten rechtzeitig erkennbar wird (vgl. BFH-Beschluss vom 5. März 1998 – VII B 36/97, BFH/NV 1998, 1325). Ansonsten steht regelmäßig der Vorwurf einer grob fahrlässigen Pflichtverletzung („Überwachungsverschulden“) im Raum.
60Maßstab der Pflichten eines Geschäftsführers ist die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes (vgl. § 43 Abs. 1 GmbHG), unabhängig von der Person des jeweiligen Geschäftsführers (vgl. BFH-Urteil vom 26. April 1984 – V R 128/79, BStBl. II 1984, 776).
612. Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH zur Haftungsinanspruchnahme von GmbH-Geschäftsführern ergibt sich die Verantwortlichkeit des Geschäftsführers für die Erfüllung der steuerlichen Pflichten der GmbH allein aus seiner nominellen Bestellung zum Geschäftsführer ohne Rücksicht darauf, ob sie auch tatsächlich ausgeübt werden kann (vgl. BFH-Urteile vom 2. Juli 1987 – VII R 104/84, BFH/NV 1988, 6; vom 11. November 1986 – VII R 201/83, BFH/NV 1987, 212; Beschluss vom 7. März 1995 – VII B 172/94, BFH/NV 1995, 941). Der GmbH-Geschäftsführer kann sich nicht damit entschuldigen, dass er von der Führung der Geschäfte ferngehalten wird und die Geschäfte tatsächlich von einem anderen geführt worden sind. Wenn der Geschäftsführer die Geschäftsführung durch einen anderen duldet, so hat er durch geeignete Aufsichtsmaßnahmen dafür zu sorgen, dass dieser die steuerlichen Verpflichtungen der GmbH ordnungsgemäß und rechtzeitig erfüllt. Der Geschäftsführer wird von seiner Verantwortlichkeit erst dadurch befreit, dass er von der Geschäftsführung der GmbH zurücktritt (vgl. BFH-Urteile vom 23. März 1993 – VII R 38/92, BFH/NV 1994, 71; vom 16. März 1993 – VII R 57/92, BFH/NV 1993, 707). Bis zu diesem Zeitpunkt bleibt er für die Erfüllung der steuerlichen Pflichten voll verantwortlich (vgl. BFH-Urteil vom 16. März 1993 – VII R 57/92, BFH/NV 1993, 707).
62Ebenso wenig kann sich ein Geschäftsführer auf sein eigenes Unvermögen, seinen Aufgaben als Geschäftsführer nachzukommen, berufen. Wer den Anforderungen an einen gewissenhaften Geschäftsführer nicht entsprechen kann, muss vielmehr von der Übernahme des Geschäftsführeramtes absehen bzw. es niederlegen (vgl. BFH‑Beschluss vom 5. März 1985 – VII B 69/84, BFH/NV 1987, 422). Wer hingegen die Stellung eines Geschäftsführers nominell und formell übernimmt, haftet, sofern ihm auch der Vorwurf persönlichen Verschuldens mindestens vom Grade grober Fahrlässigkeit gemacht werden kann, gemäß § 69 AO grundsätzlich auch dann, wenn er nicht befähigt oder aus irgendwelchen Gründen nicht in der Lage ist, seinen Überwachungsaufgaben und seiner Pflicht, diejenigen Personen sorgfältig auszuwählen, denen er die Erledigung steuerlicher Angelegenheiten der GmbH und damit die Erfüllung seiner eigenen Pflichten überlässt, nachzukommen (vgl. BFH-Beschluss vom 5. März 1998 – VII B 36/97, BFH/NV 1998, 1325 m.w.N.).
633. Sind mehrere Geschäftsführer bestellt, trifft jeden von ihnen die Pflicht zur Geschäftsführung und grundsätzlich die Verantwortung für die Geschäftsführung im Ganzen. Denn die Führung der Geschäfte umfasst nicht in erster Linie die Besorgung eines bestimmten Geschäftsbereichs, sondern die verantwortliche Leitung der Geschäfte in ihrer Gesamtheit. Die Gesamtverantwortung eines jeden Geschäftsführers verlangt zumindest eine gewisse Überwachung der Geschäftsführung im Ganzen (BFH-Urteil vom 26. April 1984 – V R 128/79, BStBl. II 1984, 776).
64Hat der Gesellschaftsvertrag oder ein förmlicher Beschluss der Gesellschafter die Wahrnehmung der steuerlichen Belange der Gesellschaft einem von mehreren Geschäftsführern zugewiesen (vgl. § 37 Abs. 1 GmbHG) oder ist dies kraft Zulassung in dem Gesellschaftsvertrage oder durch Beschluss der Gesellschafter in einer Geschäftsordnung der Geschäftsführer festgelegt (vgl. § 77 Abs. 2 AktG), treffen die steuerlichen Pflichten in erster Linie diesen Geschäftsführer. Die Verantwortung der anderen Geschäftsführer wird dadurch aber nicht im Ganzen aufgehoben (vgl. § 37 Abs. 2 Satz 2 GmbHG). Vielmehr tritt der Umfang ihrer Pflichten nur insoweit und so lange zurück, wie für sie unter den Maßstäben der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes (vgl. § 43 Abs. 1 GmbHG) kein Anlass besteht anzunehmen, die steuerlichen Pflichten der Gesellschaft würden nicht exakt erfüllt. Die Gesamtverantwortung aller Geschäftsführer wird spätestens dann (wieder) wirksam, wenn die laufende Erfüllung aller Verbindlichkeiten nicht mehr gewährleistet ist und infolgedessen Unregelmäßigkeiten in der Erklärung der Steuern oder der Begleichung der Steuerschulden zu besorgen sind, oder wenn die Person des für die steuerlichen Belange primär zuständigen Geschäftsführers diese Besorgnis rechtfertigt (vgl. BFH-Urteil vom 26. April 1984 – V R 128/79, BStBl. II 1984, 776).
65Bei einer vereinbarungsgemäßen Verteilung der Geschäfte der GmbH auf mehrere Geschäftsführer kann die Verantwortung eines Geschäftsführers für die Erfüllung der steuerlichen Pflichten, die diesem nicht zugewiesen sind, zwar nicht aufgehoben, aber begrenzt werden. Die Begrenzung der Verantwortlichkeit gilt insoweit und so lange, wie kein Anlass besteht, an der exakten Erfüllung der steuerlichen Pflichten durch den hierfür zuständigen Geschäftsführer zu zweifeln (vgl. BFH-Urteil vom 26. April 1984 – V R 128/79, BStBl. II 1984, 776). Werden im Falle des Fehlens einer schriftlichen Aufgabenverteilung die Geschäfte des laufenden Geschäftsverkehrs (z.B. Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer), die für die GmbH nicht von existentieller Bedeutung sind, regelmäßig von einem bestimmten Geschäftsführer vorgenommen, so sind die anderen Geschäftsführer nicht zu einer inhaltlichen Nachprüfung verpflichtet. Dieser Grundsatz gilt nicht, wenn die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft oder die Person des handelnden Geschäftsführers oder Gesellschafters zu einer Überprüfung Veranlassung geben (vgl. BFH-Beschluss vom 4. März 1986 – VII S 33/85, BStBl. II 1986, 384).
66Hiernach ist bei mehreren Geschäftsführern zwar grundsätzlich eine Aufteilung der Geschäfte des regelmäßigen Geschäftsablaufs möglich. Die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes erfordert jedoch eine vorweg getroffene, schriftlich festgehaltene und eindeutige Klarstellung, welcher Geschäftsführer für welchen Bereich zuständig ist, damit nicht im Haftungsfall jeder Geschäftsführer auf die Verantwortlichkeit eines anderen verweist. Folglich muss eine schriftliche Aufteilung vorliegen, die jede einzelne Aufgabe in den Zuständigkeitsbereich mindestens eines Geschäftsführers verweist. Fehlt es daran, bleibt es zumindest hinsichtlich eines Unterlassens bei der solidarischen Haftung aller Geschäftsführer (§ 43 Abs. 2 GmbHG) wegen Organisationsverschuldens (vgl. BFH-Urteil vom 26. April 1984 – V R 128/79, BStBl. II 1984, 776).
674. Vor diesem Hintergrund ist die Haftungsinanspruchnahme des Klägers im vorliegenden Fall nicht zu beanstanden und damit rechtmäßig.
68a) Vorliegend steht angesichts der langjährigen Tätigkeit des Klägers als Versicherungsmakler für den Senat außer Zweifel, dass der Kläger nach seinen individuellen Möglichkeiten die Anforderungen an die Tätigkeit eines Geschäftsführers einer Versicherungsmakler-Gesellschaft erfüllen konnte. Etwas anderes trägt auch der Kläger nicht vor. Er wendet sich gegen die Haftungsinanspruchnahme lediglich mit den Argumenten, dass er zum einen nach der internen Geschäftsverteilung zwischen den beiden Geschäftsführern der Za nicht für die Erfüllung der steuerlichen Belange zuständig gewesen sei, und zum anderen krankheitsbedingt an der ordnungsgemäßen Wahrnehmung seiner Geschäftsführertätigkeit in dem Zeitraum, in dem die der Haftungsinanspruchnahme zugrundeliegenden Steuerschulden entstanden sind, gehindert gewesen sei. Beide Gesichtspunkte führen jedoch nicht zur Rechtswidrigkeit des streitgegenständlichen Haftungsbescheids.
69b) Es mangelt vorliegend bereits an einer im Vorhinein getroffenen und eindeutigen Aufgabenzuweisung dahingehend, dass nicht der Kläger, sondern der Mitgeschäftsführer die ordnungsgemäße Wahrnehmung der steuerlichen Belange zu verantworten gehabt hätte. Die Rechtsprechung verlangt – wie ausgeführt – hierfür angesichts der von den Geschäftsführern anzuwendenden Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes (vgl. § 43 Abs. 1 GmbHG) eine vorweg getroffene, eindeutige, d.h. schriftliche Klarstellung, welcher Geschäftsführer für welchen Bereich zuständig ist. Nur so kann sichergestellt werden, dass im Haftungsfall nicht jeder Geschäftsführer auf die Verantwortlichkeit eines anderen Geschäftsführers verweist. Eine derartige Dokumentation der Verteilung der Geschäfte zwischen mehreren Geschäftsführern kann durch Gesellschaftsvertrag, förmlichen Gesellschafterbeschluss oder Geschäftsordnung erfolgen (vgl. BFH-Beschluss vom 4. März 1986 – VII S 33/85, BStBl. II 1986, 384).
70Selbst wenn für eine vorweg getroffene und zu beachtende Aufteilung der Verantwortungsbereiche zwischen mehreren Geschäftsführern auch eine Aufgabenverteilung im Geschäftsführer-Anstellungsvertrag ausreichen sollte, genügen die vorliegend in dem Geschäftsführervertrag des Klägers enthaltenen Vereinbarungen zu speziellen Aufgaben des Klägers nicht, um eine nur eingeschränkte Verantwortlichkeit für die Erfüllung der steuerlichen Verpflichtungen begründen zu können. Es fehlt im Falle des Klägers jedenfalls an einer eindeutigen Aufgabenverteilung, wie sie nach der angeführten Rechtsprechung, der sich der Senat anschließt, erforderlich ist.
71aa) Im ursprünglichen, grundlegenden Geschäftsführervertrag vom ... (Bl. 181 der GA) fand sich über die allgemeine Aufgabenzuweisung, dass der Kläger als Geschäftsführer die Gesellschaft nach Maßgabe des Gesetzes, des Gesellschaftsvertrages, der Beschlüsse der Gesellschafterversammlung sowie einer etwaigen Geschäftsordnung vertritt, keine spezielle Aufgabenzuweisung und erst recht keine interne Aufgabenzuteilung dergestalt, dass der Kläger nicht für die Erfüllung der steuerlichen Aufgaben zuständig sein sollte. In der ersten Verlängerung zum Geschäftsführervertrag (Bl. 186, 188 der GA) war sodann erstmals eine detailliertere Beschreibung des Aufgaben- und Tätigkeitsbereichs des Klägers enthalten. Allerdings handelt es sich hierbei lediglich um eine explizite Nennung der vom Kläger „im Wesentlichen“ zu verantwortenden Aufgaben. Dies stellt keine eindeutige und klare Aufgabenverteilung zwischen dem Kläger und dem Geschäftsführer Herrn Q dergestalt dar, dass sodann primär der Mitgeschäftsführer und nicht der Kläger für die steuerlichen Belange verantwortlich sein sollte. Vielmehr dürfte damit lediglich dokumentiert worden sein, dass sich der Kläger insbesondere um die Kundenakquise kümmern sollte. Allerdings ist damit gerade nicht explizit klargestellt, wer von den Geschäftsführern allein für die steuerlichen Belange zuständig sein sollte. Daran ändert auch eine möglicherweise geübte Praxis, dass primär der Mitgeschäftsführer Herr Q die steuerlichen Belange gegenüber den Finanzbehörden wahrgenommen habe, nichts. Mangels einer diesbezüglich eindeutigen, vorab getroffenen und schriftlich fixierten Aufgabenzuteilung verbleibt es insoweit bei der Gesamtverantwortung aller Geschäftsführer für die Belange der Za einschließlich der Verantwortung für die Erfüllung der steuerlichen Pflichten der GmbH. Dies entspricht auch den vertraglichen Regelungen und der Entscheidung der Gesellschafter der Za, dass die Geschäftsführer gerade nicht alleinvertretungsberechtigt, sondern nur vertretungsberechtigt gemeinsam mit einem weiteren Geschäftsführer gewesen sind.
72bb) Der Kläger hat über den Verweis auf die in den Geschäftsführerverträgen vorgenommene Zuweisung der dem Kläger im Wesentlichen obliegenden Aufgaben hinaus auch nichts weiter dazu vorgetragen, inwieweit anderweitig eine eindeutige Aufgabenverteilung zwischen ihm und dem Mitgeschäftsführer Herrn Q vereinbart und dokumentiert gewesen sein soll.
73cc) Unbeachtlich ist in diesem Zusammenhang auch, dass der Kläger über keine Bankkontenvollmacht verfügt habe. Denn nach der BFH-Rechtsprechung kommt es nicht darauf an, ob und inwieweit der in Haftung genommene über die Mittel der GmbH tatsächlich verfügen konnte. Es ist allein entscheidend, dass er sich als bestellter Geschäftsführer der GmbH die Verfügungsgewalt über die zur Erfüllung der steuerlichen Pflichten notwendigen Mittel hätte verschaffen müssen und es nicht hätte zulassen dürfen, dass andere ohne sein Zutun über diese Mittel verfügen (vgl. BFH-Beschluss vom 7. März 1995 – VII B 172/94, BFH/NV 1995, 941).
74c) Der Haftungsinanspruchnahme steht darüber hinaus nicht entgegen, dass der Kläger im Haftungszeitraum möglicherweise gesundheitlich nicht in der Lage gewesen ist, seine Geschäftsführeraufgaben einschließlich der Wahrnehmung der steuerlichen Belange ordnungsgemäß zu erfüllen. Tatsächlich sollte es, worauf auch der Klägerbevollmächtigte hinweist, angesichts der ausweislich der ärztlichen Bescheinigung vom 10. August 2012 attestierten Herzerkrankung naheliegen, dass diese Erkrankung bereits (mindestens) Ende 2011 und im ersten Halbjahr 2012, worauf sich die Haftungsinanspruchnahme bezieht, vorlag. Allerdings lässt sich aus der Bescheinigung nicht erkennen, ob und inwieweit der Kläger bereits Ende 2011 bzw. im ersten Halbjahr 2012 aufgrund der Erkrankung gehindert gewesen sein könnte, seine Geschäftsführeraufgaben für die Za in Gänze wahrzunehmen. Die ärztliche Bescheinigung lässt zum einen mit einer sehr allgemein und pauschal gehaltenen Formulierung eine Arbeitsunfähigkeit des Klägers lediglich für die Zukunft und die Dauer eines ganzen Jahres (d.h. bis Ende August 2013) erkennen. Zum anderen wird in der ärztlichen Bescheinigung ausdrücklich ausgeführt, dass dem Kläger (lediglich) „mehr als einfache geschäftliche Verhandlungen, Besprechungen usw. nicht zumutbar“ seien. Soweit man mit dem Kläger dieser ärztlichen Einschätzung eine Aussagekraft nicht nur für die Zeit ab Ausstellung der Bescheinigung (10. August 2012), sondern bereits für die Zeit davor zuerkennt, ergibt sich damit für den Zeitraum ab Herbst 2011 und für das erste Halbjahr 2012 allerdings, dass es dem Kläger nicht gänzlich unmöglich gewesen sein dürfte, geschäftliche Belange wahrzunehmen. Daher hätte der Kläger unter Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes zumindest die Wahrnehmung seiner Geschäftsführeraufgaben delegieren bzw. die Geschäftsführertätigkeit früher beenden können und müssen.
75Jedenfalls hat der Kläger nichts dazu vorgetragen, dass ihm auch dies nicht möglich gewesen sei. Weder nach dem Vortrag des Klägers noch sonst ist für den Senat zu erkennen, dass es dem Kläger im Hinblick auf den Haftungszeitraum nicht möglich gewesen sein sollte, bereits früher als tatsächlich erfolgt, sein Geschäftsführeramt niederzulegen bzw. in Kenntnis seiner Erkrankung die Wahrnehmung der ihm obliegenden Geschäftsführeraufgaben durch eine andere Person sicherzustellen. Der Kläger war hierzu auch unter Berücksichtigung einer bereits vor der Ausstellung der ärztlichen Bescheinigung vom 10. August 2012 vorliegenden Erkrankung – wie ausgeführt – in der Lage und verfügte aufgrund seiner langjährigen Geschäftstätigkeit auch über die entsprechenden Kenntnisse bezüglich der Verantwortung und Pflichten eines GmbH-Geschäftsführers.
76d) Vor dem Hintergrund der langjährigen Geschäftserfahrung des Klägers in der Versicherungsmaklerbranche und zudem mangels entgegenstehender Gesichtspunkte hat der Senat auch keine Zweifel daran, dass dem Kläger die seitens der Za zu erfüllenden steuerlichen Pflichten hätten bekannt sein müssen und er insoweit die Sorgfalt, für die Erfüllung der steuerlichen Verpflichtungen der Za Sorge zu tragen, in grob fahrlässiger Weise verletzt hat.
77e) Keine Bedenken bestehen für den Senat schließlich auch hinsichtlich der vom Beklagten angestellten Ermessenserwägungen zur Begründung der Haftungsinanspruchnahme des Klägers. Angesichts der nur in den Grenzen des § 102 FGO überprüfbaren Ermessensentscheidung bestehen keine Bedenken dagegen, dass der Kläger und der weitere Geschäftsführer der Za gemeinsam gesamtschuldnerisch als Haftende in Anspruch genommen worden sind. Insoweit spielt es insbesondere keine entscheidende Rolle, dass möglicherweise – nach dem Vortrag des Klägers – aufgrund der internen Geschäftsverteilung, die allerdings – wie ausgeführt – nicht hinreichend klar und im Vorhinein vereinbart wurde, nicht der Kläger, sondern der Mitgeschäftsführer mit der Erfüllung der steuerlichen Belange betraut wurde. Das Auswahlermessen wird zwar nicht fehlerhaft ausgeübt, wenn die Finanzbehörde nur denjenigen von mehreren Geschäftsführern in Anspruch nimmt, dem nach der intern getroffenen Geschäftsaufteilung die Erfüllung der steuerlichen Pflichten übertragen war (vgl. BFH-Beschluss vom 5. November 1991 – VII B 116/91, BFH/NV 1992, 575). Daraus lässt sich aber im Umkehrschluss nicht schließen, dass die gleichzeitige Inanspruchnahme anderer potentiell Haftender als Gesamtschuldner ermessenswidrig wäre (vgl. BFH-Beschluss vom 7. März 1995 – VII B 172/94, BFH/NV 1995, 941).
78Im Übrigen hat der Beklagte in nachvollziehbarer und durch das Gericht nicht zu beanstandender Weise neben dem Kläger auch den weiteren Geschäftsführer Herrn Q wegen der Steuerrückstände als Haftenden in Anspruch genommen.
79Im Rahmen der Ermessensentscheidung müssen auch keine Erwägungen darüber anstellt werden, ob die Höhe des Haftungsbetrages dem Grad des Verschuldens entspricht. Denn die Haftungsinanspruchnahme ist keine verschuldensabhängige Sanktion für die Verletzung steuerrechtlicher Pflichten, sondern beruht allein darauf, dass der Geschäftsführer der GmbH einen Steuerausfall schuldhaft verursacht hat und für den daraus der Allgemeinheit entstandenen Schaden ersatzpflichtig ist (vgl. BFH-Urteile vom 5. September 1989 – VII R 61/87, BStBl. II 1989, 979; vom 5. September 1989 – VII R 62/87, BFH/NV 1990, 348).
80Ebenso wenig erforderlich ist es, dass die Finanzbehörde im Rahmen der Betätigung des Auswahlermessens bereits Gesichtspunkte berücksichtigt, die sich aus der Größenordnung der Haftungsschuld im Vergleich zu den finanziellen Möglichkeiten des potentiellen Haftungsschuldners ergeben. Auch insoweit ist es wegen des Schadensersatzcharakters des Haftungsanspruchs nicht gerechtfertigt, bereits bei der Feststellung dieses Anspruchs durch den Haftungsbescheid Billigkeitsgesichtspunkte zu berücksichtigen (vgl. BFH-Beschluss vom 7. März 1995 – VII B 172/94, BFH/NV 1995, 941).
81Für das vorliegende Verfahren, in dem es um die Rechtmäßigkeit der Haftungsinanspruchnahme des Klägers geht, hat es keine Bedeutung, dass die vorstehenden Gesichtspunkte möglicherweise im Rahmen einer Billigkeitsentscheidung bzw. im Zusammenhang mit einer einvernehmlichen Schuldenbereinigung seitens der Finanzbehörde zu berücksichtigen sind. Derartige Umstände können allenfalls im hierzu unter dem Aktenzeichen 2 K …/18 anhängigen Streitverfahren bezüglich eines Billigkeitserlasses der Haftungsschuld Berücksichtigung finden.
82f) Hinsichtlich der Höhe der nach Ergehen des Änderungsbescheides vom 24. August 2018 zuletzt noch streitgegenständlichen Höhe der gegenüber dem Kläger geltend gemachten Haftungsschuld sind weder vom Kläger Einwände erhoben worden noch sonst ersichtlich.
83II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
84III. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52, 63 des Gerichtskostengesetzes.
85IV. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.