Finanzgericht Köln, 10 K 3059/18
Die Beklagte wird unter Aufhebung des angegriffenen Bescheides vom 13.4.2018 und der Einspruchsentscheidung vom 7.11.2018 verpflichtet, das Kindergeld für das Kind A für die Monate Juni 2017 bis einschließlich April 2018 zu gewähren.
Die Kosten des Verfahrens werden der Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, soweit nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in Höhe des vollstreckbaren Betrages leistet.
1
Tatbestand
2Die Beteiligten streiten darüber, ob für das Kind A ein Kindergeldanspruch wegen Behinderung besteht.
3Die Klägerin ist die Mutter des am ...9.1997 geborenen Kindes A, der nach der Trennung der Eltern im Haushalt der Mutter lebt. A ist wegen einer seelischen Störung und wegen Bronchialasthmas gesundheitlich beeinträchtigt. Mit Bescheid vom 10.5.2017 wurde durch das zuständige Landratsamt des B eine Schwerbehinderung mit einem Grad von 40% festgestellt. Ausweislich einer nicht datierten ärztlichen Bescheinigung der Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie, C (GA Bl. 14, bei der Beklagten eingegangen im April 2018, GA Bl. 37), besteht die Behinderung, die "die Erwerbsfähigkeit/Ausbildungsfähigkeit des Kindes einschränkt" (GA Bl. 14), bereits seit der Geburt (seit dem ....1997). Nach weiterer Bescheinigung von Frau C vom 19.9.2016 war A aufgrund seiner Erkrankung, die phasenweise seit 2012 aufgetreten sei, auch nicht mehr zum Schulbesuch in der Lage und auch nicht arbeitsfähig. A sei nach zwei stationären psychiatrischen Aufenthalten im letzten Jahr, die erfolglos abgebrochen worden seien, noch immer nicht arbeits- bzw. schulfähig (GA Bl. 15). Auf den Antrag der Klägerin, das Kindergeld im Hinblick auf die Erkrankung von A weiter zu gewähren, wurde die Kindergeldzahlung zunächst wieder aufgenommen.
4Nachdem die Beklagte die laufende Kindergeldzahlung zu Prüfungszwecken mit Ablauf des Monats Mai 2017 erneut eingestellt hatte, hob sie die Kindergeldfestsetzung mit dem vorliegend streitgegenständlichen Bescheid vom 13.4.2018 auf. A sei trotz seiner Behinderung in der Lage, sich selbst zu unterhalten. Nach Mitteilung der Reha/SB-Stelle der Agentur für Arbeit D vom 19.6.2017 (GA Bl. 11) sei A für die Monate ab Juni 2017 in der Lage, eine arbeitslosenversicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden umfassende Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des in Betracht kommenden Arbeitsmarktes auszuüben. Die Regelung umfasse die Monate Juni 2017 bis einschließlich April 2018.
5Mit dem Einspruch machte die Klägerin geltend, um die Beibringung weiterer ärztlicher Nachweise bemüht zu sein. Frau C habe eine weitere Behandlung abgelehnt, da A wegen seines Alters nicht mehr in der Kinder- und Jugendpsychiatrie behandelt werden könne. Da es nur wenige Psychiater gebe, die auch noch einen langen Terminvorlauf hätten, habe ein neuer Arzt noch nicht gefunden werden können. Daraufhin wurde der Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 7.11.2018 unter Hinweis auf die sozialmedizinische Stellungnahme der Reha/SB-Stelle der Agentur für Arbeit D für den beschiedenen Regelungszeitraum zurückgewiesen.
6Die Klägerin hält die sozialmedizinische Stellungnahme der Reha/SB-Stelle und das zugrunde liegende Gutachten vom 24.4.2017 (GA Bl. 23 ff.) für widersprüchlich und nicht nachvollziehbar. Unter 2.1 nehme die Gutachterin an, dass A vollschichtig täglich 6 Stunden und mehr leistungsfähig sei. Unter Tz. 3 und 2.6 würden dagegen Gründe aufgeführt, die einer vollschichtigen oder mehr als 6 Stunden dauernden Erwerbstätigkeit entgegenstünden. Eingeschränkt sei die Arbeitsfähigkeit danach, wenn eine besondere geistige und psychische Belastbarkeit gefordert sei; keine Eignung bestehe für pädagogische/therapeutische Tätigkeiten sowie für Fahr-, Steuer- und Überwachungstätigkeiten, für Tätigkeiten mit Zeitdruck und Nachtschichten, für Tätigkeiten mit hohem Publikumsverkehr oder mit häufiger Reisetätigkeit und Außendienst sowie für Arbeiten im Bereich von Stäuben, Rauch, Gasen, Hitze oder Kälte. Unter Tz. 4 stelle die Gutachterin weiter fest, dass eine schwerwiegende Leistungseinschränkung vorliege, die die Aussichten zur Teilhabe am Arbeitsleben dauerhaft wesentlich mindere. Des Weiteren werde festgestellt, dass die gesundheitliche Problematik schwerwiegend und unübersichtlich sei und nicht einmal im Hinblick auf etwaige Berufsbildungsmaßnahmen Aussagen gemacht würden.
7Das Gericht hat mit Beschluss vom 6.5.2019 Sachverständigenbeweis erhoben über die Frage, ob A aufgrund seiner Behinderung seit Juni 2017 außerstande ist, eine versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden umfassende Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des in Betracht kommenden Arbeitsmarktes auszuüben. Der Gutachter kam dabei zu dem Ergebnis, dass A außerstande sei, eine solche Tätigkeit auszuüben. Wegen der Einzelheiten der Feststellungen des Gutachters wird auf das Gutachten vom 24.6.2019 Bezug genommen.
8Die biografische Anamnese des Gutachters wurde durch die Bevollmächtigte mit Schreiben vom 15.7.2019 dahin ergänzt, dass A nach wie vor zusammen mit seiner Mutter wohne. Ein Zusammenleben mit den erwähnten Stiefgeschwistern gebe es nicht. Es handle sich hierbei auch nicht um Stiefgeschwister im eigentlichen Sinne, sondern um die Kinder des Lebensgefährten der Mutter. A stehe derzeit in einem Schonarbeitsverhältnis im Betrieb des Lebensgefährten der Mutter.
9Auf Anfrage des Gerichts räumte die Beklagte mit Schreiben vom 10.10.2019 ein, dass aufgrund des Gutachtens zwar davon auszugehen sei, dass A im Hinblick auf seine Erkrankung nach den Gesamtumständen des Falles außerstande sei, sich selbst zu unterhalten, und zwar weder mit seinem verfügbaren Nettoeinkommen noch mit Leistungen Dritter. Allerdings sei das Vorliegen der erforderlichen Behinderung nach wie vor nicht nachgewiesen. Bei einem Grad der Behinderung von weniger als 50 % sei neben dem entsprechenden Feststellungsbescheid noch ein weiterer Nachweis notwendig, der auch in Form einer ärztlichen Bescheinigung bzw. eines Zeugnisses des behandelnden Arztes oder durch ein fachärztliches Gutachten erbracht werden könne. Dieses müsse allerdings das Vorliegen der Behinderung ausdrücklich attestieren, sodass aus der Bescheinigung hervorgehen müsse:
10a) Vorliegen einer Behinderung,
11b) der Beginn der Behinderung, wenn das Kind das 25. Lebensjahr vollendet hat und
12c) die Auswirkung der Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit des Kindes.
13Die Bescheinigung einer - ggf. langwierigen - Erkrankung reiche nicht aus, sodass die Beklagte auf einer gerichtlichen Entscheidung bestehen müsse.
14Die Klägerin beantragt,
15die Beklagte unter Aufhebung des angegriffenen Bescheides vom 13.4.2018 und der Einspruchsentscheidung vom 7.11.2018 zu verpflichten, das Kindergeld für das Kind A für die Monate Juni 2017 bis einschließlich April 2018 zu gewähren.
16Der Beklagte hält an ihren Ausführungen im Schreiben vom 10.10.2019 fest und beantragt,
17die Klage abzuweisen.
18Entscheidungsgründe
19Die Klage ist begründet. Das Kind A war als behindertes Kind unabhängig davon zu berücksichtigen, dass Arzt und Gutachter in dem von der Familienkasse aufgelegten Vordruck das Element "Behinderung" nicht angekreuzt haben.
201. Gemäß § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Sätze 1 und 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG besteht für ein Kind, das das 18. Lebensjahr vollendet hat, ein Anspruch auf Kindergeld, wenn es wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten, sofern die Behinderung vor Vollendung des 25. Lebensjahres eingetreten ist.
21a) Ein Mensch ist behindert, wenn seine körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher seine Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (inzwischen ständige Rechtsprechung des BFH, vgl. BFH v. 19.1.2017 - III R 44/14, BFH/NV 2017, 735 im Anschluss an BFH v. 21.10.2015 - XI R 17/14, BFH/NV 2016, 190; v. 28.5.2013 - XI R 44/11, BFH/NV 2013, 1409, und v. 23.2.2012 - V R 39/11, BFH/NV 2012, 1584 unter Hinweis auf § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Der Nachweis der Behinderung kann dabei nicht nur durch Vorlage eines entsprechenden Schwerbehindertenausweises oder Feststellungsbescheids gemäß § 69 SGB IX sowie eines Rentenbescheids erfolgen, sondern auch in anderer Form wie beispielsweise durch Vorlage einer Bescheinigung bzw. eines Zeugnisses des behandelnden Arztes oder auch eines ärztlichen Gutachtens erbracht werden. Im Rahmen seiner Sachaufklärungspflicht sollen Gericht/Behörde im Regelfall ein ärztliches Gutachten einholen oder entsprechende Erkenntnisse durch Einvernahme der behandelnden Ärzte gewinnen (BFH v. 21.10.2015 - XI R 17/14, BFH/NV 2016, 190, v. 9.2.2012 - III R 47/08, BFH/NV 2012, 939, Rz 16, beide auch zur Frage der Ursächlichkeit der Behinderung für die Unfähigkeit zum Selbstunterhalt; ferner BFH v. 28.5.2013 - XI R 44/11, BFH/NV 2013, 1409, Rz 14). Eine auch danach etwa verbleibende fehlende Nachweislichkeit geht nach den Regeln der objektiven Beweislast (Feststellungslast) zu Lasten des Kindergeldberechtigten (BFH v. 19.1.2017 - III R 44/14, BFH/NV 2017, 735).
22b) Die von der Beklagten angeführte einschlägige Verwaltungsanweisung versteht den Begriff der "Behinderung" inhaltsgleich, sodass eine Behinderung gemäß A 19.1 Abs. 2 DA-KG 2019 unter Bezugnahme auf die in § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX genannten Voraussetzungen vorliegt, wenn das Kind körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen hat, die es in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können und das Kind deshalb am gesellschaftlichen Leben dauerhaft nur beeinträchtigt teilhaben kann.
23c) Entgegen der Auffassung der Beklagten ist danach der Begriff der "Gesundheitsstörung" der Oberbegriff, der zur Annahme einer Behinderung zwingt, wenn sich die Gesundheitsstörung mit einer hohen Wahrscheinlichkeit auf einen längeren Zeitraum als sechs Monate erstreckt und den Betroffenen dadurch an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindert. Als seelische Gesundheitsstörungen kommen nach Auffassung des BFH u.a. körperlich nicht begründbare Psychosen, Anfallsleiden Suchtkrankheiten, Neurosen und Persönlichkeitsstörungen in Betracht, aufgrund derer die seelische Gesundheit des Kindes "von dem für das Lebensalter typischen Zustand" abweicht. Daher ist bei Kindern zur Feststellung einer Behinderung die Abgrenzung altersadäquater Gesundheitszustände notwendig, also ein Vergleich der körperlichen, geistigen bzw. seelischen Fähigkeiten mit denen eines altersentsprechenden nicht behinderten Kindes. Für den insoweit maßgeblichen 6-Monatszeitraum ist nicht die seit Beginn der Erkrankung oder die seit ihrer erstmaligen ärztlichen Feststellung tatsächlich abgelaufene Zeit entscheidend, sondern die ihrer Art nach zu erwartende Dauer der von ihr ausgehenden Funktionsbeeinträchtigung (BFH v. 19.1.2017 - III R 44/14, BFH/NV 2017, 735 m.w.N.).
24Für die Frage, ob in Folge einer seelischen Störung die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist, kommt es auf das Ausmaß und den Grad der seelischen Störung an. Entscheidend ist, ob die seelische Störung nach Breite, Tiefe und Dauer so intensiv ist, dass sie die Fähigkeit zur Eingliederung in die Gesellschaft beeinträchtigt. Die Prüfung einer Teilhabebeeinträchtigung hat aufgrund einer umfassenden Kenntnis des sozialen Umfelds des betroffenen Kindes oder Jugendlichen nach sozialpädagogischem und gegebenenfalls psychologischem Sachverstand zu erfolgen (BFH v. 19.1.2017 - III R 44/14, BFH/NV 2017, 735 und v. 18.6.2015 - VI R 31/14, BFHE 251, 147, BStBl II 2016, 40, jeweils m.w.N.).
25d) Im Streitfall liegt eine solche, die Teilnahme am Leben in der Gesellschaft entsprechend beeinträchtigende seelische Störung bei A vor. So kam der Gutachter im Gutachten vom 24.6.2019 zu dem Ergebnis, dass A, dessen Vater selbst depressiv gewesen sei, an einer depressiven Störung leidet, aufgrund derer er wegen nur geringer Belastbarkeit bei gleichzeitig hoher Impulsivität seit Juni 2017 außerstande ist, eine versicherungspflichtige mindestens 15 Stunden umfassende Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des in Betracht kommenden Arbeitsmarkts auszuüben. Nach Auffassung des Gutachters gibt es eine diffuse familiär-genetische Belastung durch den an Depression erkrankten Vater. A ist danach mit seiner gegenwärtigen Tätigkeit von 15 Wochenstunden als Montierer/Sortierer kleiner Teile grenzwertig überfordert. Aufgrund der psychischen Einschränkungen von A ist eine dauerhafte Integration in den sogenannten ersten Arbeitsmarkt nach Überzeugung des Gutachters auf absehbare Zeit überwiegend unwahrscheinlich und nur bei entsprechender Nachreifung und stabilen äußeren Verhältnissen eine Besserung zu erwarten. Aufgrund der Defizite im Verhältnis zu Gleichaltrigen stimmt der Gutachter der Einschätzung von Fr. C vom 15.9.2016 zu, nach der die Arbeitsfähigkeit von A nach Abbruch von zwei erfolglosen stationären psychiatrischen Behandlungen noch nicht wieder hergestellt und derzeit allenfalls eine Berufsfindungsmaßnahme denkbar ist.
26Diese zwar nicht immer ausführlich begründete Einschätzung des Gutachters deckt sich nicht nur mit den Untersuchungsergebnissen von Fr. C vom 15.9.2016, sondern der Sache nach auch mit der sozialmedizinischen Stellungnahme der Reha/SB-Stelle, deren Gutachterin zwar -- in nicht nachvollziehbarer Weise -- zu dem Ergebnis kommt, dass A vollschichtig täglich 6 Stunden und mehr leistungsfähig ist, die aber andererseits ausführt, dass die Arbeitsfähigkeit von A bei geistigen und psychischen Belastungen nur eingeschränkt sei, sodass jedenfalls keine Eignung bestehe für Fahr-, Steuer- und Überwachungstätigkeiten, für Tätigkeiten mit Zeitdruck und Nachtschichten, für Tätigkeiten mit hohem Publikumsverkehr oder mit häufiger Reisetätigkeit und Außendienst sowie für Arbeiten im Bereich von Stäuben, Rauch, Gasen, Hitze oder Kälte, sodass nicht ersichtlich ist, welche Tätigkeiten überhaupt verbleiben, für die A mit seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung geeignet ist. Überdies hat die Gutachterin unter Tz. 4 festgestellt, dass eine schwerwiegende Leistungseinschränkung vorliegt, die die Aussichten am Arbeitsleben teilzuhaben dauerhaft wesentlich mindert, sodass das Gericht auf der Grundlage der drei gutachtlichen Stellungnahmen insgesamt nur zu dem Ergebnis kommen kann, dass die tatbestandlich geforderte Behinderung vorliegt.
27e) Unstreitig sind vorliegend die weiteren Voraussetzungen einer Berücksichtigung als behindertes Kind, nämlich der Eintritt der Einschränkung vor Vollendung des 25. Lebensjahres, der Umstand, dass A außerstande ist, sich selbst -- mit dem verfügbaren Nettoeinkommen oder durch Leistungen Dritter -- zu unterhalten und ebenso die Ursächlichkeit der Einschränkungen von A für die mangelnde Fähigkeit zum Selbstunterhalt (Beklagten-Schreiben vom 10.10.2019; vgl. insoweit BFH v. 23.2.2012 - V R 39/11, BFH/NV 2012, 1584).
28f) Etwas anderes ergibt sich im Streitfall auch nicht daraus, dass Arzt und Gutachter in dem von der Familienkasse aufgelegten Vordruck das Element "Behinderung" nicht angekreuzt haben. Nach Überzeugung des Gerichts hat der ärztliche Gutachter lediglich die Befunde seiner Untersuchung festzustellen. Es gibt keine gesetzliche Grundlage dafür, vom Gutachter einen Subsumtionsschluss im Hinblick auf den Begriff der Behinderung i.S. des § 2 Abs. 1 SGB IX zu erwarten und die Kindergeldzahlung vom Subsumtionsergebnis des Gutachters abhängig zu machen. Vielmehr ist die Frage, ob eine Behinderung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG vorliegt, eine -- von der rechtsanwendenden Behörde oder vom Gericht zu entscheidende -- Rechtsfrage. Dem Sachverständigen, der Beweismittel ist und die allgemeinen Erfahrungssätze aus seinem Fachgebiet vermittelt, darf die Prüfung von Rechtsfragen demgegenüber nicht übertragen werden (BFH v. 19.1.2017 - III R 44/14, BFH/NV 2017, 735 m.w.N.).
29Entgegen der Auffassung der Beklagten sieht das Gericht in der die Behörde bindenden Dienstanweisung zum Kindergeld auch keine Weisungslage, die die Beklagte zu einer abweichenden Beurteilung zwänge. Vielmehr ist die Begriffsdefinition zur Behinderung auch in den einschlägigen Verwaltungsanweisungen übernommen worden (vgl. nur A 19.1 Abs. 2 DA-KG für 2019). Wenn es vor diesem Hintergrund in A 19.2 Abs. 1 Satz 3 DA-KG 2019 heißt, dass zum Nachweis der Behinderung aus der Bescheinigung neben den anderen hier unstreitigen Voraussetzungen das "Vorliegen der Behinderung" hervorgehen muss, bedeutet das nicht, dass das Kindergeld von einem Ankreuzen des Begriffs "Behinderung" durch den Gutachter in dem von der Familienkasse aufgelegten Formularvordruck abhängig gemacht werden kann, sondern dass von der gemäß Art. 20 GG an Gesetz und Recht gebundenen Verwaltung eine Subsumtionsleistung erwartet wird, bei welcher die gutachterlichen Feststellungen an dem gesetzlich vorgegebenen Behinderungsbegriff des § 2 Abs. 1 SGB IX zu messen sind.
302. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.