Wie weit gilt das Verbot der Doppelbestrafung bei Steuerhinterziehung?
Kernaussage
Auch auf europäischer Rechtsebene ist das Grundrecht anerkannt, wonach niemand wegen ein und derselben Zuwiderhandlung strafrechtlich zweimal verfolgt oder bestraft werden darf. Im Hinblick auf diese Verbot der Doppelbestrafung legte ein schwedisches Gericht dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) die Frage zur Entscheidung vor, ob gegen einen Angeschuldigten ein Strafverfahren wegen Steuerhinterziehung eingeleitet werden darf, wenn wegen derselben Tag der Abgabe unrichtiger Steuererklärungen bereits steuerliche Sanktionen gegen ihn festgesetzt wurden.
Sachverhalt
Ein schwedischer Steuerpflichtiger war selbstständig auf dem Gebiet des Fischfangs und des Verkaufs der Fänge tätig. Die schwedische Finanzverwaltung warf ihm vor, er sei seinen steuerlichen Erklärungspflichten für die Jahre 2004 und 2005 nicht nachgekommen, was zum Verlust von Einnahmen bei verschiedenen Steuerarten geführt habe. Im Mai 2007 setzte die Behörde für die betreffenden Jahre steuerliche Sanktionen gegen den Steuerpflichtigen fest. 2009 leitete das zuständige schwedische Gericht ein Strafverfahren gegen ihn ein. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Steuerhinterziehung vor, die nach schwedischem Recht mit Freiheitsstrafe von bis zu 6 Jahren bestraft wird. Diesem Verfahren liegt dieselbe Tat der Abgabe unzutreffender Steuererklärungen zugrunde, die auch zu den steuerlichen Sanktionen geführt hat. Das schwedische Gericht möchte wissen, ob die Anklage gegen den Beschuldigten unzulässig ist, weil er in einem anderen Verfahren bereits wegen derselben Tat bestraft wurde.
Entscheidung
Der Grundsatz des Verbots der Doppelbestrafung hindert einen Mitgliedstaat nicht daran, zur Ahndung derselben Tat der Nichtbeachtung von Erklärungspflichten im Bereich der Mehrwertsteuer eine steuerliche Sanktion und danach eine strafrechtliche Sanktion zu verhängen. Die Mitgliedstaaten können, um die Erhebung der Einnahmen aus der Mehrwertsteuer in ihrer Gesamtheit zu gewährleisten, die anwendbaren Sanktionen frei wählen. Dabei kann es sich um verwaltungsrechtliche oder strafrechtliche Sanktionen oder um eine Kombination der beiden handeln. Für die Beurteilung der strafrechtlichen Natur von steuerlichen Sanktionen sind 3 Kriterien maßgeblich: zum Einen die rechtliche Einordnung der Zuwiderhandlung im innerstaatlichen Recht, zum Anderen die Art der Zuwiderhandlung sowie die Art und der Schweregrad der dem Betroffenen angedrohten Sanktion. Es ist Sache der nationalen Gerichte, zu beurteilen, ob die nach innerstaatlichem Recht vorgesehene Kumulierung von steuerlichen und strafrechtlichen Sanktionen möglicherweise gegen die – ebenfalls nationalen – Schutzstandards verstößt, sofern die verbleibenden Sanktionen wirksam, angemessen und abschreckend sind.
Konsequenz
Der EuGH stellt klar, dass nur dann, wenn die steuerliche Sanktion strafrechtlichen Charakter hat und unanfechtbar geworden ist, die Einleitung eines Strafverfahrens gegen dieselbe Person wegen derselben Tat nicht mehr zulässig ist.