Schere zwischen armen und reichen Kommunen geht weiter auseinander
Jede dritte Kommune kann Schulden nicht aus eigener Kraft zurückzahlen
Klamme Kommunen erhöhen Abgaben: Auf die Bürger kommen weitere Steuer- und Gebührenerhöhungen zu
Abwärtsspirale: Höhere Steuern und sinkende Investitionen bedrohen Attraktivität im Standortwettbewerb
Im vergangenen Jahr konnten die deutschen Kommunen – dank sprudelnder Steuereinnahmen und den von einigen Bundesländern1 aufgelegten Entschuldungsfonds – ihren Gesamtschuldenstand erstmals seit 2008 leicht reduzieren – wenngleich gerade einmal um 0,04 Prozent2.
Allerdings war die Verschuldung längst nicht überall rückläufig: In Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Thüringen und dem Saarland stieg die Gesamtverschuldung der Kommunen im Jahr 2013 weiter an. Zudem wächst der Anteil der Kommunen, die in die Schuldenfalle rutschen: Im Jahr 2013 hat gut jede zweite Kommune mit mehr als 20.000 Einwohnern ein Haushaltsdefizit verbucht; für das laufende Jahr rechnen sogar 63 Prozent dieser Kommunen mit höheren Ausgaben als Einnahmen.
Und für die kommenden drei Jahre gehen nur 37 Prozent der Kämmerer von sinkenden Schulden aus, jede zweite Kommune hingegen prognostiziert einen Anstieg ihrer Verschuldung. Vor allem in Schleswig-Holstein, Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen rechnet ein großer Teil der Kommunen mit steigenden Verbindlichkeiten. Jede dritte Kommune gibt sogar an, ihre Schulden voraussichtlich nicht aus eigener Kraft zurückzahlen zu können.
Angesichts der nach wie vor desolaten Finanzlage vieler Städte und Gemeinden kommt eine weitere Welle von Leistungskürzungen und Steuererhöhungen auf die Bürger zu: Drei Viertel der Kommunen wollen in den kommenden zwei Jahren Steuern und Gebühren erhöhen. Und 34 Prozent planen, Leistungen zu reduzieren oder ganz einzustellen, etwa im Bereich Straßenbeleuchtung oder bei der Kinder- und Seniorenbetreuung.
Das sind Ergebnisse einer aktuellen Studie der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY (Ernst & Young), die auf einer Umfrage unter 300 deutschen Kommunen sowie einer Analyse der Verschuldungssituation von Kommunen mit mindestens 20.000 Einwohnern beruht.
Von der guten Konjunkturentwicklung in Deutschland können längst nicht alle Kommunen profitieren. Im Gegenteil: Vor allem ohnehin finanzschwache Kommunen geraten immer tiefer in die Schuldenfalle: Gemeinden mit einem hohen Schuldenstand von mehr als 2.000 Euro je Einwohner verzeichneten im Jahr 20123 mehrheitlich – zu 75 Prozent – einen Anstieg der Pro-Kopf-Verschuldung. Im Durchschnitt stieg die Verschuldung bei diesen Kommunen um 5,5 Prozent von 3.163 Euro auf 3.337 Euro je Einwohner.
Ganz anders die Städte und Gemeinden mit ohnehin geringer Pro-Kopf-Verschuldung von unter 1.000 Euro: Von diesen Kommunen konnten immerhin 77 Prozent ihren Schuldenstand weiter reduzieren – um rund 11 Prozent von durchschnittlich 534 Euro auf 477 Euro je Einwohner.
Und in den kommenden Jahren dürfte sich die Schere zwischen Arm und Reich noch weiter öffnen: Von den Kommunen, die derzeit ein Haushaltsdefizit erwirtschaften, prognostizieren 58 Prozent einen weiteren Anstieg der Schulden, nur 31 Prozent rechnen mit einem Rückgang der Verschuldung. Bei den Kommunen mit Haushaltsüberschuss überwiegt hingegen der Anteil derer, die einen Schuldenabbau erwarten (42 Prozent gegenüber 39 Prozent).
„Die Zweiklassengesellschaft unter den deutschen Kommunen verfestigt sich, finanzstarke und -schwache Städte driften immer weiter auseinander“, kommentiert Hans-Peter Busson, Partner bei EY und Leiter des Bereichs Government & Public Sector für Deutschland, die Schweiz und Österreich, die Ergebnisse. „Die wohlhabenden Kommunen in wirtschaftsstarken Regionen profitieren von der guten Wirtschaftslage und können dank geringer Verschuldung und hoher Einnahmen mit attraktiven Angeboten um Unternehmensansiedlungen und Zuzügler werben.“
Auf der anderen Seite aber wachse die Zahl finanzschwacher Gemeinden, die ihre Leistungen immer weiter reduzieren müssen und mangels Attraktivität im Standortwettbewerb an Boden verlieren. „Die Schere zwischen armen und reichen Kommunen öffnet sich weiter – daran ändern auch die Rekordsteuereinnahmen nichts. Denn das zusätzliche Geld kommt vor allem bei den wohlhabenden Kommunen an“, so Busson.
Besonders angespannt ist die Situation in Hessen und Nordrhein-Westfalen, wo der Anteil der Kommunen, die einen Haushaltsüberschuss erwirtschaften, nach Einschätzung der Kämmerer von jeweils 21 Prozent im vergangenen Jahr auf nur noch 10 bzw. 8 Prozent im laufenden Jahr sinken wird.
Kindergärten, Friedhöfe und Hunde: Alles wird teurer
Die anhaltende finanzielle Notlage veranlasst viele Kommunen, weiter in großem Stil an der Gebührenschraube zu drehen: 74 Prozent der Kommunen planen, in den kommenden zwei Jahren Steuern oder Gebühren anzuheben. So sollen die Friedhofsgebühren bei 27 Prozent der Städte und Gemeinden steigen, die Gebühren für Kindertagesstätten oder Ganztagsschulen wollen 25 Prozent der Kommunen erhöhen. 21 Prozent planen, in den kommenden zwei Jahren den Grundsteuerhebesatz zu erhöhen,4 die Hundesteuer soll in 13 Prozent der Kommunen steigen. „Die Gebührenschraube wird immer weiter angezogen. Dieser Trend hält schon seit Jahren an, und ein Ende ist nicht abzusehen“, stellt Busson fest.
Auch kommunale Leistungen sollen zurückgefahren werden – allerdings nur bei jeder dritten Kommune (34 Prozent). Besonders häufig wollen die Gemeinden bei der Straßenbeleuchtung (18 Prozent), der Jugend- und Seniorenarbeit (7 Prozent) sowie bei Bibliotheken und kulturellen Einrichtungen (4 Prozent) sparen.
Dass die Kämmerer eher auf Steuer- und Gebührenerhöhungen setzen als auf Sparmaßnahmen, hat, so Busson, auch politische Gründe: „Die Erhöhung kommunaler Steuern trifft zumeist auf weniger Widerstand als die Einschränkung kommunaler Leistungen. Die Schließung des Hallenbads oder der Bibliothek bringt viele Bürger auf die Barrikaden, eine Erhöhung der Hundesteuer oder der Friedhofsgebühren ist dagegen zumeist leicht durchzusetzen – bringt aber auch deutlich weniger ein.“
Der aktuelle Konsolidierungskurs der Kommunen könne sich allerdings mittelfristig durchaus als Bumerang erweisen, warnt Busson: „Viele Kommunen versuchen, ihre Finanzprobleme in erster Linie durch Gebührenerhöhungen und höhere Sätze bei der Gewerbe- und Grundsteuer in den Griff zu bekommen. Gleichzeitig fahren sie ihre Investitionen in Straßen und Gebäude massiv herunter – mit der Konsequenz, dass der Verfall der öffentlichen Infrastruktur weiter fortschreitet. Das Ergebnis ist eine Abwärtsspirale mit erheblichen langfristigen Negativfolgen für die Wettbewerbsfähigkeit.“
Viele Kommunen flüchten unter Rettungsschirme – dennoch ist eine weitere Verschärfung des Schuldenproblems zu erwarten
Angesichts der Finanzmisere vieler Kommunen haben einige Bundesländer Programme zur finanziellen Unterstützung notleidender Kommunen aufgelegt. In acht Bundesländern gibt es bereits solche kommunalen Rettungsschirme, immerhin 21 Prozent der befragten Kommunen nutzen bereits diese Möglichkeit.
Kommunen, die solche Finanzhilfen erhalten, führen als Konsolidierungsmaßnahme am häufigsten eine Reduzierung der Ausgaben für freiwillige Leistungen durch. Zudem werden Ausgaben für Pflichtaufgaben reduziert und – wenn möglich – Einnahmen aus dem Beteiligungsbereich erhöht.
Diese Maßnahmen haben allerdings bislang offenbar nicht zu einer spürbaren Verbesserung der Finanzsituation der Kommunen geführt. Und mittelfristig stehen die Kommunen vor weiteren erheblichen Herausforderungen:
Zum einen werde die im Grundgesetz festgeschriebene Schuldenbremse die Situation noch verschärfen, erwartet Busson: „Um die Vorgaben einzuhalten, dürften einige Bundesländer ihre Zahlungen an die Kommunen reduzieren.“
Zum anderen werden viele Kommunen den demografischen Wandel – sprich: eine älter werdende Gesellschaft und sinkende Bevölkerungszahlen – sowie den Trend zur Verstädterung schmerzhaft zu spüren bekommen: „Gerade in strukturschwachen und abgelegenen Gegenden leiden die Kommunen bereits heute unter anhaltenden Arbeitsplatz- und Bevölkerungsverlusten – eine Entwicklung, die sich in den kommenden Jahren und Jahrzehnten noch verstärken wird. In der Provinz werden immer größere weitgehend entvölkerte Landstriche entstehen, wo die Aufrechterhaltung der Infrastruktur für die Kommunen mit erheblichen Kosten verbunden ist – bei gleichzeitig einbrechenden Einnahmen. Wirtschaftsstarke Metropolen und ihre Speckgürtel werden hingegen weiter zulegen“, so Busson.
Kommunen müssen neue Wege gehen
„Trotz der Unterstützung durch einige Bundesländer und der Entlastungen bei den Sozialausgaben durch den Bund sind wir nach wie vor weit von einer nachhaltigen und strukturellen Lösung des kommunalen Schuldenproblems entfernt“, fasst Busson zusammen.
Um ihre finanzielle Situation zu verbessern, fordert die große Mehrheit der Kämmerer (90 Prozent), dass die Sozialausgaben komplett vom Bund übernommen werden sollten. Vor allem aber drängen die Befragten auf eine strikte Einhaltung des Konnexitätsprinzips, nach dem diejenige staatliche Ebene, die für eine Aufgabe verantwortlich ist oder sie veranlasst, auch für die Finanzierung zuständig sein sollte: Fast alle befragten Kommunen halten dies für „sehr wichtig“.
„Nachdem in den vergangenen Jahren sowohl der Bund als auch viele Länder substanzielle Beiträge zur finanziellen Unterstützung der Kommunen geleistet haben, ist der Ball jetzt wieder bei den Kommunen“, so Busson. Zumal es nach wie vor auch Kommunen gebe, die über ihre Verhältnisse lebten. Und gerade in den Bereichen interkommunale Zusammenarbeit und Beteiligungsmanagement schlummern nach Bussons Beobachtung noch erhebliche Potenziale: „Zu oft kocht jede Kommune ihr eigenes Süppchen – dabei muss nicht jede Gemeinde ein eigenes Standesamt haben, und auch Sportplätze und Hallenbäder kann man gemeinsam nutzen. Kirchturmdenken verhindert vielerorts Kostensenkungen und Effizienzsteigerungen.“ Zudem würden bestehende verwaltungsinterne Organisationsstrukturen und Abläufe zu selten hinterfragt und auf mögliches Einsparpotenzial hin überprüft.
Vor allem aber könnten die kommunalen Unternehmen vielfach deutlich mehr Geld an die Rathäuser überweisen, wenn sie besser aufgestellt wären: „Bei vielen kommunalen Stadtwerken und Verkehrsbetrieben geht es immer noch mehr um politische Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten als um wirtschaftliche Effizienz und damit einen größtmöglichen Ertrag für die Kommune.“
Und auch der Verkauf kommunaler Beteiligungen und Besitzungen sollte häufiger erwogen werden, fordert Busson – wenngleich solche Maßnahmen erfahrungsgemäß auf starken Widerstand von Interessengruppen stoßen. Dennoch: „Wenn Kommunen mit Bedacht Unternehmensbeteiligungen, Grundstücke oder Immobilien an Investoren veräußern, bringt das nicht nur Einnahmen für die Stadtkasse. Vor allem können die Kommunen so gezielt Wachstumsimpulse geben und die kommunale Konjunktur stärken.“
- Download der EY Kommunenstudie 2014 (PDF – 434 KB, 38 Seiten)
Quelle: Ernst & Young GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft 17.09.2014, Pressemitteilung