1. Hintergrund: Was passiert mit einem Gewerbeverlust bei Anwachsung?
Der Bundesfinanzhof (BFH) hat im Urteil vom 25.04.2024 (III R 30/21) entschieden, dass der Gewerbeverlust einer Kapitalgesellschaft nicht dadurch entfällt, dass die Kapitalgesellschaft den verlustverursachenden Geschäftsbereich mittels Asset Deals weiterveräußert. Entscheidend ist, dass bei Kapitalgesellschaften die Unternehmensidentität gemäß § 10a GewStG durch die Änderung der wirtschaftlichen Betätigung oder die Übertragung einer betrieblichen Einheit nicht berührt wird.
2. Sachverhalt im Streitfall
Die Klägerin (K-GmbH) war Gesamtrechtsnachfolgerin der A-GmbH & Co. KG, an der sie zuvor als Kommanditistin zu 100 % beteiligt war. Im Zuge einer Anwachsung übernahm die K-GmbH das gesamte Vermögen der A-GmbH & Co. KG.
- Nach der Anwachsung veräußerte die K-GmbH ihr operatives Geschäft zu Buchwerten an eine andere GmbH und stellte den früheren Betrieb der A-GmbH & Co. KG ein.
- Später änderte die K-GmbH ihren Unternehmensgegenstand und ihren Firmennamen.
- Bei einer Betriebsprüfung stellte der Prüfer fest, dass aufgrund des Wegfalls der Unternehmensidentität der gewerbesteuerliche Verlust, der noch aus der A-GmbH & Co. KG stammte, untergegangen sei.
- Das Finanzamt minderte daraufhin den vortragsfähigen Gewerbeverlust. Nach erfolglosem Einspruch gab das Finanzgericht der Klage der K-GmbH statt, und der BFH bestätigte diese Entscheidung.
3. Untergang des Gewerbeverlusts und Unternehmensidentität
Gemäß § 10a GewStG wird der Gewerbeertrag bis zu einem Betrag von 1 Mio. € um Fehlbeträge aus vorangegangenen Erhebungszeiträumen gekürzt. Ein vortragsfähiger Gewerbeverlust entfällt jedoch, wenn die Unternehmensidentität oder Unternehmeridentität entfällt.
- Unternehmensidentität: Liegt vor, wenn der im Verlustabzugsjahr bestehende Gewerbebetrieb mit demjenigen identisch ist, der im Verlustentstehungsjahr bestand.
- Bei Kapitalgesellschaften wird die Unternehmensidentität nach § 2 Abs. 2 Satz 1 GewStG regelmäßig als gegeben angesehen, da ihre Tätigkeit stets als Gewerbebetrieb gilt.
4. BFH-Urteil: Anwendung auf den Streitfall
Der BFH stellte klar, dass bei einer Kapitalgesellschaft die Unternehmensidentität durch die Änderung der wirtschaftlichen Tätigkeit oder die Übertragung eines Betriebsbereichs nicht berührt wird. Dies gilt auch, wenn die Kapitalgesellschaft den Gewerbeverlust durch Anwachsung von einer Personengesellschaft übernommen hat.
- Kein Wegfall des Gewerbeverlusts: Die K-GmbH behielt den Verlust der A-GmbH & Co. KG, selbst nachdem sie das operative Geschäft veräußert und ihren Unternehmensgegenstand geändert hatte.
- Einheitlichkeit des Gewerbebetriebs: Der Grundsatz der Einheitlichkeit des Gewerbebetriebs nach § 2 Abs. 2 Satz 1 GewStG bei Kapitalgesellschaften bedeutet, dass der Gewerbeverlust nicht durch die wirtschaftliche Betätigung beeinflusst wird.
- Keine Verlustaufteilung: Der Gewerbeverlust bleibt einheitlich bei der Kapitalgesellschaft und kann im Nachhinein weder aufgeteilt noch teilweise untergehen.
5. Praxishinweis
- Verlustnutzung bei Asset Deals: Das Urteil des BFH bestätigt, dass Kapitalgesellschaften auch bei einer Änderung der wirtschaftlichen Betätigung oder der Veräußerung des Betriebs im Wege eines Asset Deals den Gewerbeverlust weiterhin nutzen können.
- Vorteil gegenüber Personengesellschaften: Anders als bei Personengesellschaften ist bei Kapitalgesellschaften für die Nutzung des Gewerbeverlusts die Unternehmensidentität nicht entscheidend. Kapitalgesellschaften können somit den aus laufenden Verlusten entstehenden Verlustvortrag für spätere Gewinne, einschließlich Veräußerungsgewinne, nutzen und verrechnen.
Fazit: Bei einer Kapitalgesellschaft entfällt der Gewerbeverlust nicht durch die Übertragung einer verlustverursachenden Einheit oder eine Änderung des Geschäftsbereichs. Die Einheitlichkeit des Gewerbebetriebs nach § 2 Abs. 2 Satz 1 GewStG schützt die Verlustnutzung auch nach einer Anwachsung oder Veräußerung.
Quelle: BFH, Urteil vom 25.04.2024 – III R 30/21