Mit Urteil vom 19. Februar 2013 (Az. 3 K 111/12) hatte das Schleswig-Holsteinische FG die Frage zu entscheiden, ob Entschädigungszahlungen an einen Handelsvertreter, die für die Nichtausübung der Handelsvertretung bis zu deren zivilrechtlichen Beendigung gezahlt werden, dem ermäßigten Steuersatz des § 34 Abs. 1 EStG unterliegen, wenn der Handelsvertreter nach Beendigung der Vertretung eine andere Vertretung aufnimmt.
Der Kläger war als Versicherungskaufmann für die X-Versicherung in A als selbständiger Handelsvertreter tätig. Am 19. Februar 2008 kündigte die X den Handelsvertretervertrag zum 31. Dezember 2008. Im gegenseitigen Einvernehmen wurde der Kläger von jeder weiteren Tätigkeit bis zur Beendigung des Vertretervertrages entbunden und erhielt als Ausgleich für entgehende Provisionen während des Freistellungszeitraumes (03 – 12/2008) einen monatlichen Betrag in Höhe von 8.559 Euro (= monatliche Durchschnittsprovision des Vorjahres). Am 20. Februar 2008 übernahm Herr C als von der X-Versicherung bestellter Nachfolger die Handelsvertretung, erwarb von dem Kläger dessen Büromöbel und technische Geräte. Zum 31. Dezember 2008 rechnete die X den Ausgleichsanspruch des Klägers gemäß § 89b HGB ab (89.090,42 Euro). Am 01. Januar 2009 eröffnete der Kläger ein Versicherungsbüro für die Y-Versicherungen in D (ca. 42 km entfernt von dem bisherigen Standort).
Mit ESt-Bescheid für 2008 gewährte das FA den ermäßigten Steuersatz gemäß § 34 Abs. 1 EStG nur für den Ausgleichsanspruch nach § 89b HGB (89.090,42 Euro), nicht aber für die monatlichen Zahlungen im Freistellungszeitraum (insgesamt 77.031 Euro). Mit seiner Klage machte der Kläger geltend, dass die monatlichen Zahlungen entweder als Veräußerungsgewinn gemäß § 16 EStG oder aber als Entschädigungen im Sinne des § 24 Nr. 1 EStG und damit in jedem Fall als außerordentliche Einkünfte gemäß § 34 Abs. 2 EStG zu qualifizieren seien.
Der Senat hat die Klage abgewiesen. Die streitbefangenen Zahlungen in Höhe von 77.031 Euro seien nicht gemäß § 34 Abs. 1 EStG ermäßigt zu besteuern.
Nach Auffassung des Senats handele es hierbei nicht um Veräußerungsgewinne im Sinne des § 16 Abs. 1 EStG. Eine Betriebsveräußerung liege bereits deswegen nicht vor, weil der Kläger nicht alle wesentlichen Betriebsgrundlagen seiner Handelsvertretung an einen Erwerber (Herrn C) veräußert habe. Zu den wesentlichen Betriebsgrundlagen einer Handelsvertretung gehöre das immaterielle Wirtschaftsgut „Vertreterrecht“, d. h. im Streitfall die von der X dem Kläger verschaffte – rechtlich verfestigte – wirtschaftliche Chance, Provisionseinnahmen in einem bestimmten Bezirk zu erzielen. Das immaterielle Wirtschaftsgut „Vertreterrecht“ sei dem C aber von der X-Versicherung (nach Kündigung des zwischen der X und dem Kläger bestehenden Handelsvertretervertrages) eingeräumt worden. Auch seinen Kundenstamm habe der Kläger nicht an Herrn C veräußert.
Im Streitfall sei desgleichen keine Betriebsaufgabe gemäß § 16 Abs. 3 Satz 1 EStG gegeben. Der Senat habe offen lassen können, ob die streitigen Zahlungen nicht bereits deswegen zum laufenden Gewinn gehörten, weil der Handelsvertretervertrag zivilrechtlich erst zum 31. Dezember 2008 geendet und auch der Kläger dem FA gegenüber erklärt habe, er habe seine gewerbliche Tätigkeit (erst) zum 31. Dezember 2008 beendet, so dass die streitigen monatlichen Zahlungen als Einnahmen des laufenden Gewerbebetriebs anzusehen wären. Denn die Aufgabe eines Betriebs sei von der bloßen Betriebsverlegung abzugrenzen. Die Betriebsverlegung sei dadurch gekennzeichnet, dass der alte und der neue Betrieb bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise und unter Berücksichtigung der Verkehrsauffassung wirtschaftlich identisch seien. Dementsprechend liege nach einhelliger Auffassung in Rspr. und Literatur, der sich der Senat anschließe, bei einem Handelsvertreter keine begünstigte Betriebsaufgabe vor, wenn der Handelsvertreter seine bisherige(n) Vertretung(en) aufgebe und alsbald eine andere Vertretung in der gleichen Branche übernehme (vgl. BFH-Urteil vom 19. April 1966 I 221/63, BStBl III 1966, 459; Wacker in Schmidt, EStG, 31. Auflage 2012, § 16 Rz. 104).
Dieser Auffassung folgend sei im Streitfall von einer Betriebsverlegung auszugehen. Der Kläger habe sich nach Kündigung seines Handelsvertrages und nach Abschluss der Aufhebungsvereinbarung um eine Versicherungsvertretung eines anderen Versicherungsunternehmens bemüht und nach zivilrechtlicher Beendigung des Handelsvertretervertrages zum 31. Dezember 2008 dann am 01. Januar 2009 in der gleichen Branche eine neue Versicherungsvertretung (ca. 42 km entfernt von dem alten Standort) übernommen.
Die (getrennt von der Handelsvertreterausgleichszahlung nach § 89b HGB zu beurteilenden) monatlichen Zahlungen stellten auch keine außerordentlichen Einkünfte gemäß § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG i. V. m. § 24 Nr. 1a EStG bzw. § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG i. V. m. § 24 Nr. 1b EStG dar. Außerordentliche Einkünfte i. S. des § 34 Abs. 1 und 2 EStG seien nur solche, deren Zufluss in einem Veranlagungszeitraum zu einer für den jeweiligen Steuerpflichtigen im Vergleich zu seiner regelmäßigen sonstigen Besteuerung einmaligen und außergewöhnlichen Progressionsbelastung führen. Die Anwendung des § 34 Abs. 1 und 2 EStG verlange daher, dass in den Fällen des § 24 Nr. 1a EStG bzw. § 24 Nr. 1b EStG die Entschädigung für entgehende mehrjährige Einnahmen bzw. für die Nichtausübung einer mehrjährigen Tätigkeit in einem Betrag gezahlt worden sein müsse oder dass Entschädigungen für entgehende einjährige Einnahmen bzw. für die Nichtausübung einer einjährigen Tätigkeit in einem anderen Jahr ausgezahlt worden seien und dadurch ein Progressionsnachteil entstanden sei (vgl. BFH-Urteil vom 16. März 1993 XI R 10/92, BStBl II 1993, 497). Hieran fehle es im Streitfall. Die Entschädigung sei allein für das Jahr 2008 (d. h. für den Freistellungszeitraum 03 – 12/ 2008) gezahlt worden und dem Kläger auch im Jahr 2008 zugeflossen. Einen Progressionsnachteil habe der Kläger infolge der monatlichen Zahlungen nicht erlitten.
Das Finanzgericht hat die Revision zugelassen, das Revisionsverfahren ist beim BFH unter dem Aktenzeichen X R 14/13 anhängig.
Quelle: FG Schleswig-Holstein, Mitteilung vom 25.06.2013 zum Urteil 3 K 111/12 vom 19.02.2013