BFH: Keine Einsicht in Steuerakten zur Prüfung eines Schadenersatzanspruchs gegen Dritte

Zusammenfassung des Urichts BFH vom 07. Mai 2024, IX R 21/22

Anspruch auf Akteneinsicht nach bestandskräftiger Veranlagung; Auskunftsanspruch nach Art. 15 DSGVO


ECLI:DE:BFH:2024.070524.IXR21.22.0

BFH IX. Senat

Leitsätze:

  1. Ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über einen Antrag auf Einsicht in eine Steuerakte außerhalb eines finanzgerichtlichen Verfahrens besteht nicht, wenn der Steuerpflichtige für den betroffenen Besteuerungszeitraum bereits bestandskräftig veranlagt wurde und die Einsichtnahme der Verfolgung steuerfremder Zwecke (z.B. Prüfung eines Schadenersatzanspruchs gegen einen ehemaligen Steuerberater) dient.
  2. Der Anspruch auf Auskunftserteilung über die Verarbeitung personenbezogener Daten gemäß Art. 15 Abs. 1 DSGVO wird nicht durch Art. 23 Abs. 1 Buchst. i DSGVO i.V.m. § 32c Abs. 1 Nr. 1, § 32b Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 AO ausgeschlossen, wenn auch Daten betroffen sind, die einem (ehemaligen) Steuerberater der betroffenen Person zuzuordnen sind und von diesem als Vertreter gemäß § 80 Abs. 1 Satz 1 AO übermittelt wurden.
  3. Es bestehen keine gesetzlichen Aufbewahrungsvorschriften für Steuerakten der Finanzverwaltung, daher ist ein Auskunftsrecht über darin enthaltene personenbezogene Daten nicht nach Art. 23 Abs. 1 Buchst. i DSGVO i.V.m. § 32c Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a AO ausgeschlossen.

Tenor:

  • Aufhebung des Urteils des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 18.03.2022 – 7 K 11127/18 insoweit, als das Finanzamt verpflichtet wurde, Einsicht in die Einkommensteuerakte des Veranlagungszeitraums 2015 zu gewähren.
  • Abweisung der Klage insoweit.
  • Revision im Übrigen zurückgewiesen.
  • Kosten des gesamten Verfahrens werden je zur Hälfte von den Beteiligten getragen.

Tatbestand:

Die Kläger beanspruchen Einsicht in die beim Finanzamt geführte Einkommensteuerakte des Veranlagungszeitraums 2015, um Schadenersatzansprüche gegen ihren damaligen Steuerberater zu prüfen. Das Finanzamt lehnte dies ab, da es kein Akteneinsichtsrecht nach der Abgabenordnung (AO) gebe und die Einsichtnahme nach Bestandskraft des Steuerbescheids beantragt wurde.

Entscheidungsgründe:

  1. Anspruch auf Akteneinsicht:
    • Nach Bestandskraft eines Steuerbescheids besteht kein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über einen Antrag auf Einsicht in eine Steuerakte, da die Einsichtnahme in diesem Stadium keine Gewähr für rechtliches Gehör mehr bietet.
    • Ein Anspruch aus Treu und Glauben (§ 242 BGB) besteht ebenfalls nicht, da keine rechtliche Sonderverbindung zwischen der Finanzbehörde und dem Steuerpflichtigen besteht, die ein Einsichtsrecht begründen könnte.
  2. Auskunftsanspruch nach DSGVO:
    • Der sachliche Anwendungsbereich von Art. 15 Abs. 1 DSGVO ist eröffnet, und das Finanzamt ist verpflichtet, den Klägern Auskunft über die Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten zu erteilen.
    • Ausschlussgründe gemäß Art. 23 Abs. 1 Buchst. i DSGVO i.V.m. § 32c Abs. 1 AO liegen nicht vor, da das Steuergeheimnis nicht berührt ist und es keine gesetzlichen Aufbewahrungsvorschriften für Steuerakten gibt.
    • Der Anspruch auf Auskunftserteilung umfasst jedoch nicht automatisch das Recht auf Akteneinsicht. Die betroffene Person muss darlegen, warum die Einsichtnahme unerlässlich ist, um die ihr durch die DSGVO verliehenen Rechte auszuüben.

Fazit:

Der BFH hob das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts insoweit auf, als es die Einsichtnahme in die Steuerakte anordnete, und wies die Klage in diesem Punkt ab. Der Auskunftsanspruch gemäß DSGVO bleibt bestehen, jedoch ohne automatisches Recht auf Akteneinsicht.

BFH, Pressemitteilung Nr. 31/24 vom 04.07.2024 zum Urteil IX R 21/22 vom 07.05.2024

Die Einsichtnahme in Steuerakten nach Durchführung des Besteuerungsverfahrens ist ausgeschlossen, wenn der Steuerpflichtige hiermit steuerverfahrensfremde Zwecke verfolgen will, wie zum Beispiel die Prüfung eines Schadenersatzanspruchs gegen seinen Steuerberater. Hiervon unberührt bleibt ein Auskunftsanspruch über die Verarbeitung personenbezogener Daten nach Maßgabe der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO). Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 07.05.2024 – IX R 21/22 – entschieden.

Das Finanzamt (FA) hatte gegen die Kläger Einkommensteuer für 2015 festgesetzt. Später beantragten diese, Einsicht in ihre Einkommensteuerakte zu erhalten. Sie wollten überprüfen, ob ihr Steuerberater ordnungsgemäße Angaben zu den steuerlichen Verhältnissen gemacht hatte. Dies lehnte das FA ebenso ab, wie den späteren Antrag, Auskunft über die Verarbeitung personenbezogener Daten gemäß Art. 15 Abs. 1 und 3 DSGVO durch Einsichtnahme in die Steuerakte zu erteilen. Das Finanzgericht trat dem entgegen und verpflichtete das FA, Akteneinsicht zu gewähren und den datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruch zu erfüllen.

Der BFH hob die von der Vorinstanz ausgesprochene Verpflichtung des FA zur Gewährung von Akteneinsicht auf und wies die Klage insoweit ab. Die Kläger hätten die Einsichtnahme erst nach Durchführung der Einkommensteuerveranlagung beantragt, sodass der einer Akteneinsicht innewohnende Anspruch auf rechtliches Gehör vor Erlass einer Verwaltungsentscheidung nicht berührt werde. Das FA sei auch nicht verpflichtet, die Kläger bei deren Prüfung, ob ein Schadenersatzanspruch gegen den Steuerberater bestehe, durch eine nachträgliche Akteneinsicht zu unterstützen. Die Kläger verfolgten insofern außerhalb des Besteuerungsverfahrens liegende Zwecke.

Das FA sei aber verpflichtet, den Klägern gemäß Art. 15 DSGVO Auskunft darüber zu erteilen, welche sie betreffenden personenbezogenen Daten verarbeitet worden seien. Gesetzliche Ausschlussgründe lägen nicht vor; insbesondere sei kein zu Gunsten des Steuerberaters eingreifendes Steuergeheimnis zu beachten. Der datenschutzrechtliche Auskunftsanspruch sei allerdings nicht einem Akteneinsichtsrecht gleichzusetzen. Der Kopienübermittlungsanspruch gemäß Art. 15 Abs. 3 DSGVO beziehe sich grundsätzlich nur auf die personenbezogenen Daten selbst und nicht auf Dokumente. Anderes gelte ausnahmsweise dann, wenn der Steuerpflichtige darlege, dass die Übersendung von Dokumentenkopien unerlässlich sei, um wirksam datenschutzrechtliche Ansprüche zu verfolgen.

Quelle: Bundesfinanzhof