Aufrechnung im Insolvenzverfahren
Kernaussage
Gerät ein Steuerpflichtiger in Insolvenz, besteht für das Finanzamt oft nur dann eine aussichtsreiche Möglichkeit, offene Umsatzsteuerforderungen aus der Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu realisieren, wenn es seine Forderungen gegen Zahlungsansprüche des betreffenden Unternehmens (etwa aus Vorsteuerüberhängen in anderen Veranlagungszeiträumen) aufrechnen kann. Die Insolvenzordnung lässt eine solche Aufrechnung im Insolvenzverfahren (und damit eine abgesonderte Befriedigung eines Insolvenzgläubigers) zwar grundsätzlich zu. Sie verbietet sie jedoch, soweit der Insolvenzgläubiger dem Schuldner erst nach Eröffnung des Verfahrens etwas schuldig geworden ist. Das war nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) dann nicht der Fall – eine Aufrechnung war also zulässig -, wenn der Anspruch des Steuerpflichtigen zwar steuerrechtlich erst während des Insolvenzverfahrens entstanden war, jedoch auf dem Ausgleich einer vor Verfahrenseröffnung erfolgten Steuerfestsetzung beruhte, insbesondere etwa einer Umsatzsteuerberichtigung wegen Uneinbringlichwerden des Entgelts. Der BFH hat jetzt diese Rechtsprechung in 2 Urteilen aufgegeben. Eine Aufrechnung ist nur noch dann zulässig, wenn der Berichtigungstatbestand schon vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingetreten ist, wie es bei der Berichtigung von Vorsteuerbeträgen zu Lasten des Insolvenzschuldners häufig der Fall sein wird.
Sachverhalt
In beiden entschiedenen Fällen klagte der Insolvenzverwalter einer jeweils in 2002 insolvent gewordenen GmbH. Im ersten Fall war eine Umsatzsteuerberichtigung zu Gunsten der GmbH erforderlich geworden, weil deren Geschäftspartner nach Insolvenzeröffnung ebenfalls insolvent und das Leistungsentgelt somit uneinbringlich geworden war. Das beklagte Finanzamt hatte die Aufrechnung mit seinen unbefriedigten Ansprüchen aus März, April und September 2001 erklärt. Der Insolvenzverwalter vertrat die Ansicht, eine Umsatzsteuerforderung sei erst dann entstanden, wenn der volle steuerrechtliche Tatbestand verwirklicht sei. Dies sei hier erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens der Fall gewesen, so dass eine Aufrechnung gesetzlich verboten sei. Der BFH gab dem Insolvenzverwalter Recht. Im zweiten Fall hatte die seit 2002 insolvente GmbH in 2001 Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben, die aufgrund hoher Vorsteuern in allen Monaten zu Vergütungen führten. Das Finanzamt setzte Umsatzsteuer fest und meinte, die in den Anmeldungen Januar bis August 2001 berücksichtigten Vorsteuern seien aufgrund des Insolvenzeröffnungsantrags im Schätzwege durch einen prozentualen Abschlag zu berichtigen. In entsprechenden Umbuchungsmitteilungen aus Dezember 2001 und Februar 2002 verrechnete das Finanzamt die Umsatzsteuerforderungen mit den für September bis November 2001 und Dezember 2001 angemeldeten Vergütungsforderungen. Nach Einwendungen des Insolvenzverwalters hiergegen erließ das Finanzamt einen Abrechnungsbescheid und stellte das Erlöschen der Vergütungsansprüche fest. Diesmal gab der BFH dem Finanzamt Recht.
Entscheidung
Im ersten Fall wurde eine Berichtigung der Umsatzsteuer zu Gunsten der insolventen GmbH deshalb erforderlich, weil dessen Geschäftspartner (nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens der GmbH) ebenfalls in Insolvenz geraten und das von diesem geschuldete Leistungsentgelt damit uneinbringlich geworden war. Gegen den dadurch ausgelösten Umsatzsteuererstattungsanspruch des Unternehmers durfte das Finanzamt Insolvenzforderungen nicht verrechnen. Im zweiten Fall urteilte der BFH, einer Entscheidung über die Zulässigkeit einer während des Insolvenzverfahrens erklärten Aufrechnung bedürfe es dann nicht, wenn Forderung und Gegenforderung im selben Besteuerungszeitraum entstanden und deshalb nach der Rechtsprechung des BFH gegeneinander zu verrechnen seien (sog. Saldierung). Hier seien die Aufrechnungsverbote nicht zu beachten. Da diese Saldierung in einem Steuerfestsetzungsbescheid nicht mehr vorgenommen werden könne, wenn vor Ablauf des betreffenden Steuerjahres das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, greife jene Verrechnung gleichsam automatisch; ein Streit über die Zulässigkeit einer zuvor vom Finanzamt erklärten Aufrechnung sei damit erledigt.
Konsequenz
Die Finanzverwaltung darf künftig nur noch mit eigenen Forderungen aufrechnen, wenn der Berichtigungstatbestand vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingetreten ist.