Missbräuchliche Ist-Besteuerung eines Unternehmers
Thema: Steuern: Unternehmer
vom: 27.04.2021
Das Finanzamt kann die Gestattung der umsatzsteuerlichen Ist-Besteuerung widerrufen, wenn der Unternehmer die Ist-Besteuerung missbraucht. Ein solcher Missbrauch liegt vor, wenn der Unternehmer Gesellschaften, an denen er beteiligt ist, Rechnungen mit Umsatzsteuer ausstellt, so dass diese die Vorsteuer geltend machen können, die Rechnungen jedoch nicht bezahlt, sondern seinem jeweiligen Verrechnungskonto gutgeschrieben werden, so dass er mangels Bezahlung die Umsatzsteuer vorerst nicht abzuführen braucht.
Hintergrund: Grundsätzlich entsteht die Umsatzsteuer mit der Erbringung der Leistung, sog. Soll-Besteuerung. Auf Antrag kann das Finanzamt unter bestimmten Voraussetzungen die sog. Ist-Besteuerung gestatten; die Umsatzsteuer ist dann erst in dem Anmeldungszeitraum abzuführen, in dem der Vertragspartner die Rechnung bezahlt.
Sachverhalt: Der Kläger war Unternehmer und an mehreren GmbH beteiligt, an die er umsatzsteuerbare Geschäftsführungsleistungen erbrachte. Das Finanzamt gestattet ihm die Ist-Besteuerung. Der Kläger stellte den GmbH im Zeitraum 2006 bis 2015 für Geschäftsführerleistungen Entgelte i.H. von mehr als 1 Mio. € zuzüglich Umsatzsteuer in Rechnung. Die GmbH bezahlten ca. 180.000 € und schrieben den Restbetrag dem jeweiligen Verrechnungskonto des Klägers gut. Der Kläger führte auf den Zahlungsbetrag von 180.000 € Umsatzsteuer an das Finanzamt ab. Die GmbH machten die Vorsteuer auf den Gesamtbetrag von ca. 1 Mio. € geltend. Das Finanzamt stellte diese Vorgehensweise im Rahmen einer Außenprüfung im Jahr 2015 fest und widerrief daraufhin die Gestattung der Ist-Besteuerung. Gegen diesen Widerruf klagte der Kläger.
Entscheidung: Das Finanzgericht Rheinland-Pfalz (FG) wies die Klage ab:
Der Widerruf der Gestattung der Ist-Besteuerung war rechtmäßig, da die Ist-Besteuerung das Steueraufkommen gefährdete. Es kam nämlich zu einer erheblichen Diskrepanz zwischen dem Vorsteuerabzug der GmbH, der aufgrund der Rechnungen mit Umsatzsteuerausweis unabhängig von der Bezahlung sogleich möglich war, und der Pflicht des Klägers zur Abführung der Umsatzsteuer, die erst mit der Bezahlung entstand. Diese Gestaltung war systematisch auf die Erlangung von Liquiditätsvorteilen ausgerichtet.
Die weiteren Voraussetzungen des Widerrufs waren erfüllt: Ohne Widerruf wäre das öffentliche Interesse gefährdet gewesen. Und das Finanzamt hat den Widerruf auch innerhalb der gesetzlichen Frist von einem Jahr erklärt, nachdem es im Rahmen der Außenprüfung von der Gestaltung des Klägers erfahren hatte.
Hinweise: Sowohl die Gestattung bzw. die Ablehnung des Antrags auf Gestattung der Ist-Besteuerung als auch der Widerruf sind Verwaltungsakte, die mit einem Einspruch angefochten werden können.
Ist die Gestattung der Ist-Besteuerung von vornherein rechtswidrig, weil die Voraussetzungen nicht vorlagen, kann das Finanzamt die Gestattung zurücknehmen. Die Rücknahme ist ebenso wie der Widerruf mit einem Einspruch anfechtbar, ist aber an andere Voraussetzungen geknüpft als der Widerruf.
Die Ist-Besteuerung ist insbesondere dann zulässig, wenn der Gesamtumsatz im Jahr 600.000 € nicht übersteigt oder wenn der Unternehmer Freiberufler ist und nicht bilanziert.
FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 24.11.2020 - 3 K 1192/18; NWB